31. Mai 2011

Syrien: Offene Folter als Einschüchterungsmethode

Es ist unbegreiflich, dass ein Staat einen 13-Jährigen zu Tode foltert. Aber man wundert sich auch, warum ein so skrupelloses Regime dann den Leichnam mit den eindeutigen Folterspuren nicht verschwinden lässt, um dieses unglaubliche Verbrechen zu vertuschen, sondern stattdessen den entstellten Körper den Eltern übergibt. Nun, das hat in Syrien Methode.

Die Büros der Geheimdienste sind zum Teil nicht irgendwo am Stadtrand, sondern mitten in den Wohnvierteln. Die Folterkeller direkt darunter. Jeder in Syrien weiß das. Man versucht gar nicht, sein brutales Vorgehen zu verheimlichen. Im Gegenteil, die quasi offene Folter soll abschrecken. Und seit dem Beginn der Proteste sind Tausende festgenommen und tagelang gefoltert worden, um danach ohne Anklage freigelassen zu werden. Dies sollte die Menschen von weiteren Protesten abhalten. Auch die Übergabe der misshandelten Toten soll signalisieren: "Seht her, wir können euch unsägliche Leiden zufügen und letztlich werdet ihr sterben!" Die Abteilung für "Terrorismusbekämpfung" des Geheimdienstes der Luftwaffe, in deren Händen Hamza war, gilt selbst für syrische Verhältnisse als besonders grausam. Entsprechend geht ihr auch jedes Unrechtsbewusstsein ab. Sie hat im Falle von Hamza El-Khatib so gehandelt, wie sie immer handelt: absolut gnadenlos im Dienste des Regimes.

29. Mai 2011

Syrien: Es werden nicht weniger. 13-Jähriger in Haft bestialisch getötet.

Auch diesen Freitag sind wieder Zehntausende auf die Straße gegangen. Neben dem Hauptslogan "Das Volk will den Sturz des Regimes!" gab es viele Parolen, die die Armee aufforderten das Volk zu schützen, wie es ihr Auftrag ist. Denn dieser Freitag war der "Freitag der Armee". Als Reaktion auf eine Rede des Hozbollah-Führers Nasrallah, in der er das syrisch Regime unterstütze, war auch zu hören: "Nein zum Iran! Nein zu Hizbollah!" Insgesamt gingen wieder mindestens so viele Menschen auf die Straße wie den Freitag zuvor.

Aber die Nachricht, die Syrien zurzeit erschüttert, ist die vom Tod des 13-jährigen Hamza El-Khatib. Er wurde am 29. April in Nähe von Daraa festgenommen, als er seine Familie auf einer Demonstration gegen die Besetzung Daraas durch Geheimdienste und Militär begleitete. Nun wurde sein Leichnam der Familie übergeben. Der Körper zeigt Schusswunden und ist übersäht mit Spuren von Folter, das Gesicht ist geschwollen und blau unterlaufen, auch der Rest des Körpers ist mit blauen und schwarzen Stellen übersäht. Als Gipfel der Bestialität sind seine Genitalien verstümmelt worden. Und zwar bevor er erschossen wurde, wie ein Autopsie ergab. In letzter Zeit sind die Menschen abends und nachts auf die Dächer gegangen und haben nach iranischen Vorbild "Allahu Akhbar!" als Zeichen des Widerstandes gerufen. Gestern wurde vielerorts einfach nur ein Name gerufen: Hamza El-Khatib


Eintrag in einem ägyptischen Blog zu dem Tod von Hamza El-Khatibs (Vorsicht, die Bilder sind grauenvoll):
We are all Hamza Ali El-Khatib und eine Facebookseite zu seinem Gedenken

22. Mai 2011

Bahrain: Zwei Todesurteile bestätigt. Militärgerichtsmaschine läuft auf Hochtouren.

Am heutigen Sonntag hat die Berufungsinstanz der Militärgerichte zwei der vier Todesurteile wegen angeblichen Polizistenmordes bestätigt, zwei Todesurteile wurden in lebenslängliche Haft umgewandelt. Die drei lebenslänglichen Strafen dieses Prozesses wurden bestätigt. Gründe wurden keine angegeben. Die Vollstreckung der Todesurteile wurde an die zivile Justiz übergeben. Todesurteile müssen in Bahrain vor der Exekution vom König bestätigt werden.

Aber nicht nur in diesem Fall läuft die Militärgerichtsmaschine auf Hochtouren. Meist dauern die Verfahren vier Tage. Am ersten Tag wird die Anklage verlesen (häufig genug hört hier der Angeklagte zum ersten Mal, welche Anschuldigung man gegen ihn erhebt) und die Verteidigung bestellt (meist dem Angeklagten zugewiesene Verteidiger, also kein Anwalt seines Vertrauens). Am zweiten Tag erfolgt die Beweisaufnahme. Am dritten Tag folgen die Plädoyers von Anklage und Verteidigung. Und am vierten Tag erfolgt das Urteil. Alle Verfahren finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Und die Strafen sind drastisch. So werden Menschen wegen "Teilnahme an einer illegalen Versammlung" zu ein bis drei Jahren verurteilt. Wohlgemerkt nur wegen Teilnahme, nicht wegen irgendwelcher Gewalttaten, und die Strafen sind keine Bewährungsstrafen.

Auch werden zweifelhafte Massenprozesse durchgezogen. So wurden am 19. Mai neun Angeklagte wegen "Entführung eines Polizeibeamten" zu 20(!) Jahren Haft verurteilt. Nähere Einzelheiten wurden nicht bekannt gegeben. Zwei der Angeklagten waren am 23. März festgenommen worden. Sie sind Brüder. Die Polizei suchte bei ihnen zuhause angeblich ihren Vater. Der ist aber im libanesischen Exil, was in Bahrain allgemein bekannt ist, u. a. weil er regelmäßig in TV-Sendungen arabischer Satellitensender auftritt, in denen er aus dem Libanon zugeschaltet wird.

Syrien: Azadî, der Ruf nach Freiheit bleibt

Am Freitag hatte die Opposition zum Azadî-Tag aufgerufen. Azadî ist kurdisch und bedeutet Freiheit. Damit hat der arabische Teil der Opposition seine Verbundenheit mit den Kurden zum Ausdruck gebracht und gleichzeitig verdeutlicht, worum es ihr geht.

Und wieder sind Tausende dem Ruf gefolgt. Und erneut schossen die Schergen des Regimes. Dutzende Tote sind zu vermelden. Aus Homs gibt es ein Video das zeigt, wie völlig unbewaffnete Menschen einem Schützenpanzer trotzen.


Für Idlib war ein Sternmarsch geplant, um den Hauptplatz der Stadt zu besetzen. Davon haben die Sicherheitskräfte Wind bekommen. Ihre Taktik, den Zusammenschluss von Demonstrationen zu einer großen zu verhindern, haben sie hier auch wieder mit aller Brutalität durchgesetzt. In der Nähe von Al-Mastoumeh, einem Ort in der Umgebung Idlibs sollen allein an einer Straßensperre etwa 30 Menschen umgekommen sein. Auch davon gibt es ein Video.


Unterdessen haben mehrere Menschenrechtsorganisationen darauf hingewiesen, dass die bisherigen Opferzahlen nur das ihnen bekannte Minimum sind. Viele Leichen werden von den Sicherheitskräften beseitigt und teilweise in Massengräbern verscharrt. Solche Massengräber sind in der Nähe von Daraa entdeckt worden. Teilweise waren die Toten noch gefesselt und offensichtlich hingerichtet worden. Andererseits sterben viele Verletzte an ihren Schusswunden zuhause, weil man sich zu Recht nicht traut, die Krankenhäuser aufzusuchen.

18. Mai 2011

Syrien: Ein Hilferuf aus Banyas

Uns erreicht ein Hilferuf aus Banyas. Die Schilderung der Lage dürfte auch auf die Situation in Daraa und Duma sowie den anderen von Geheimdienst und Armee besetzten Städte Syriens zutreffen. Dazu passt der Bericht eines britischen Journalisten, der incognito in Syrien unterwegs war, er habe allein vor den Toren Homs 100 Panzer gesehen. Aus mehreren Städten wird berichtet, dass Fußballstadien als Haft- und Folterstätten missbraucht werden. In der Umgebung Daraas wurden zwei Massengräber gefunden mit insgesamt 26 Leichen, die dort verscharrt worden waren. Einige hatten noch die Hände auf dem Rücken gefesselt und waren offensichtlich hingerichtet worden.


Ein Hilferuf aus Banyas - Banyas unter der Besatzung, 17. Mai 2011

Nach der Abriegelung Banyas und seiner Dörfer für viele Tage, der darauf folgenden brutalen Besetzung der Stadt, der Verhaftung hunderter Einwohner, dem Tod derer, die von den Kugeln der Geheimdienstler getötet wurden, setzt sich die Politik des Aushungerns und der Besetzung der Stadt und ihrer Umgebung fort, wie auch in anderen syrischen Städten.

Die Armee hat Banyas für lange Zeit belagert, was zu einem Mangel an Lebensmitteln und medizinischen Versorgungsgütern führte, trotz der wenigen Hilfe, die anfangs aus Jableh und Tartous kam. Allerdings wurde die Belagerung härter und wirklich niemand durfte hinein oder hinaus; bis zu dem Punkt, an dem sogar Lastwagenfahrer, die Lebensmittel anliefern wollten, festgenommen wurden und die Fracht von den Geheimdienstlern, die an der Belagerung teilnahmen, gestohlen wurde.

Dann geschah der Einmarsch am 7. Mai 2011 durch geschätzte 20.000 Soldaten, und das bei einer kleinen Stadt wie Banyas, deren Bevölkerung 40.000 nicht überschreitet; angeführt wurden sie von Agenten der Geheimdienste, die ebenfalls eindrangen.

Der Angriff wurde mit 500 Maschinengewehren und zahlreichen Schützenpanzern durchgeführt, Häuser und Geschäfte wurden wahllos beschossen. Die Armee verteilte sich auf alle Zugänge zur Stadt, alle Viertel und Straßen; Häuser wurden besetzt und in Kasernen umgewandelt. Auch die Häuser von Sheikh Anas Ayrout und Ahmad Moussa und anderen. Viele Gebäude wurden zerstört, Häuser gestürmt und geplündert, und als Gipfel wurde eine Ausgangssperre verhängt, die das gesamte Leben der Stadt zum Erliegen brachte.

Schlägertruppen und Geheimdienstler griffen das Krankenhaus der Barr-Gesellschaft an, die meisten Ärzte, Schwestern und Patienten wurden verhaftet, die Apparate und Medizin (inklusive Blutbeutel und Impfstoffe) wurden gestohlen. Ahmad Karkour starb, weil es im Krankenhaus keine Blutkonserven mit seiner Blutgruppe mehr gab.

Diese Schläger griffen auch das Dr. Abdulmajeed Bakkur-Krankenhaus an und steckten es in Brand, weil dort angeblich "Terroristen" behandelt worden waren.

Eine Verhaftungswelle traf 5.000 Menschen, die ins Stadion der Stadt verschleppt und dort brutal geschlagen und gefoltert wurden. Die meisten sind immer noch in Haft.

Niemand war von diesen Verhaftungen ausgenommen. Zum Beispiel wurde der 70 Jahre alte Vater von Dr. Bassam Suhyooni (ein Universitätsprofessor) festgenommen. Er hat schwere gesundheitliche Leiden, trotzdem wurde er gefoltert und geschlagen, bis er freigelassen wurde, weil sich sein Gesundheitszustand verschlechterte. Er suchte das Barr-Krankenhaus auf, wo nun Soldaten einquartiert waren. Dort wurde er erneut von den Geheimdienstlern verhaftet und niemand kennt bis jetzt seinen Aufenthaltsort.

Nach mehreren Tagen seit dem Einmarsch und fünf Toten im Dorf Al-Marqab und sechs Toten in Banyas, leidet die Stadt nun unter einer ernsten Lebensmittelkrise wegen der andauernden Besetzung und Abriegelung, in der nur die Bäckereien die Produktion wieder aufgenommen haben. Alle Apotheken sind geschlossen und es gibt keine Medikamente, das öffentliche und das private Krankenhaus sind geschlossen und sind in Kasernen für die Soldaten umgewandelt worden, nachdem sie geplündert und demoliert wurden.

Allen verbleibenden Ärzten ist es verboten, Verwundete zu behandeln, sonst droht ihnen die Anklage, "Terroristen" behandelt zu haben.

Die öffentlichen Dienste stehen still, niemand geht aufgrund der starken Präsenz der Sicherheitskräfte und dem Maschinengewehrfeuer seitens der Armee zur Arbeit. Es gab mehrere Aufrufe über Lautsprecher, die Geschäfte wieder zu eröffnen, aber niemand wagt dies angesichts der Verhaftungs- und Folterwelle.

Die Menschen der Stadt Banyas rufen die ihnen gleichgesinnten syrischen Bürger und die Menschen mit Gewissen in der freien Welt auf, die Besetzung der Stadt und die Folterung ihrer Bewohner zu beenden, und unsere Kinder und Jugendlichen und Männer, die verhaftet wurden, umgehend zu befreien, sowie für Nahrung und medizinische Hilfe zu sorgen.

Die freien Menschen von Banyas
17. Mai 2011 

14. Mai 2011

Syrien: Mehr Freitagsdemonstrationen. Talkalakh besetzt.

Allen Maßnahmen des Regimes zum Trotz gingen am Freitag wieder Tausende auf die Straßen Syriens. Die Aktivisten hatten nicht allzu große Erwartungen. Kein Wunder: Daraa, und Duma sind weiterhin vollständig von den Bewaffneten des Regimes besetzt. Dazu noch teilweise die Städte Homs, Hama, Banyas, Latakia, Idlib, Jasim, Darayya, Al Tal und weitere. Moscheen wurden überwacht, teilweise abgesperrt. Und es wurde regelrecht Jagd auf Internetaktivisten gemacht, um den Nachrichtenstrom aus dem Land zu unterbinden. Gerüchte besagen, dass hier iranischen "Spezialisten" helfen, die 2009 bei den Protesten nach der Präsidentenwahl im eigenen Land Erfahrungen in der Unterdrückung von Onlineaktivitäten sammelten.

Aber wieder sah Syrien Demonstrationen über das ganze Land verteilt: in Damaskus mit seinen Vorstädten, an der Küste mit Banyas und Latakia, in den kurdischen Regionen im Norden und erst recht im rebellischen Süden der Hauran-Ebene. Selbst im am längsten besetzten Daraa soll es zu Protesten gekommen sein. In vielen Städten sammelten sich mehrere Demonstrationen, weil die Stadtteile durch Straßensperren von einander abgeschnitten waren. Eine Taktik, die das Regime in Damaskus schon vor Wochen praktiziert hat. So kam es allein in Homs zu fünf Demonstrationen. Und insgesamt waren wohl mindestens so viele auf den Straßen wie letzten Freitag. Und diesmal hielt sich das Regime zurück, "nur" sechs Tote. Man kann darüber spekulieren, warum. Vielleicht, weil es weiß, dass die (arabische) Welt am Freitag besonders genau hinsieht. Aber unter der Woche sind allein in Daraa und Homs fünfzig Menschen getötet worden.

Und das Regime setzt weiter auf brutale Repression. In der Nacht zum heutigen Sonnabend marschierte die Armee und die Geheimdienste in die Stadt Talkalakh ein. Talkalakh hat etwa 32.000 Einwohner und liegt 5 km nördlich der libanesischen Grenze. Dort hatten am Freitag 30 Mitglieder der Baath-Partei ihren Austritt erklärt und auf einer Kundgebung das Regime für die Hunderten an Toten der letzten Wochen verantwortlich gemacht. Die Schüsse, die beim Einmarsch und der Besetzung der Stadt fielen, waren von der libanesischen Grenze zu hören, wie Sicherheitskräfte des Nachbarlandes berichteten. Zudem sind etwa 500 Menschen in den Libanon geflohen. Darunter viele mit Schusswunden. Ein 26-jähriger Mann ist in einem libanesischen Krankenhaus gestorben. Mindestens drei weitere Tote soll es in Talkalakh selbst gegeben haben.

Die Medien des Regimes geben als Grund für die Militäraktion in Talkalakh an, in der Stadt sei von "Salafisten" ein "islamisches Emirat" gegründet worden, dagegen habe man vorgehen müssen. Und der TV-Sender der Hizbollah "Al Manar" plappert das nach. Hizbollah ist gegen einen Gottesstaat, man könnte man fast lachen, ginge es nicht um das Leben freiheitsliebender Menschen.

Libyen: Fortschritte im Westen. Lage in Nafusa-Region kritisch.

Am Mittwoch ist es den Aufständischen in Misratah gelungen, den Flughafen der Satdt zu erobern. Dieser liegt etwa 6 km südlich des Stadtzentrums und dort war die letzte größere Ansammlung von Regimetruppen am Rande der Stadt. Von hier aus wurden das Stadtzentrum und der Hafen von Misratah beschossen. Auf dem Gelände liegt auch eine Militärakademie. Reporter berichteten, der ganze Komplex ist nun in den Händen der Aufständischen. Mit der Eroberung wurden auch etwa 60 Familien befreit, die von den Gaddafi-Truppen über zwei Monate als Geiseln gehalten wurden. Zudem fielen den Aufständischen viele Waffen und sehr viel Munition in die Hände. In den letzten Tagen ist es den Kämpfern dann gelungen Misratah vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. Zurzeit stoßen sie weiter Richtung Westen vor und stehen vor den Toren Zlitens.

Zwar ist die Misratah immer noch in Reichweite der Artillerie des Regimes, trotzdem nimmt dieser Sieg Druck von der Stadt und damit auch von der Zivilbevölkerung. Die humanitäre Situation bleibt aber dramatisch. Zur Erinnerung: Die Stadt ist seit 2 Monaten von der regulären Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten.
Wie man einen Panzer außer Gefecht setzt.
Wichtig ist auch die psychologische Seite des Sieges, den die Aufständischen davongetragen haben. Zeigen die Erfolge der letzten Tage doch, dass sie nicht nur Misratah halten können, sondern auch ihre Fähigkeit, Fortschritte zu machen. Das wird u. a. in Tripolis sehr genau wahrgenommen und stärkt den Willen der Opposition dort.

In Tripolis selber kommt es jede Nacht zu Schießereien, die sich mittlerweile auch mal über Stunden hinziehen. Die Benzinkrise verschärft sich. Es gibt Tage, an denen es nirgends mehr Benzin gibt. Die Spannungen nehmen zu. Auch zwischen der regulären Polizei und den Gaddafi-Milizen, insbesondere der Khamis-Brigade. So soll es bei der Beerdigung des Gaddafi-Sohnes Saif Al-Arab zu einer Schlägerei zwischen einem Polizisten und einem Angehörigen der Khamis-Brigade gekommen sein. Zudem muss die Polizei immer häufiger einschreiten, wenn Angehörige der Gaddafi-Milizen sich an den Tankstellen vordrängeln und sofort Benzin verlangen. Bei solchen Auseinandersetzungen soll es auch schon zu Toten gekommen sein. Auch in Az Zawiyah sind die Aufständischen weiterhin aktiv. Und auch hier gibt es Fortschritte, die Operationen werden umfangreicher.

In der Nafusa-Region stellt sich die Lage unterschiedlich dar. Von Westen nach Osten ist die Situation für die Aufständischen zunehmend schlechter. Während der Grenzübergang zu Tunesien und Nalut trotz Attacken relativ gesichert sind, sieht sich Az Zintan immer wieder ernsthaften Angriffen ausgesetzt. Am schlimmsten ist es in Yefren, Al Qala und Kikla. Hier sind die oppositionellen Kämpfer seit einem Monat umzingelt und von jeglichem Nachschub, auch an Nahrungsmitteln, abgeschnitten. Die Kämpfer und die Zivilbevölkerung drohen buchstäblich zu verhungern.

9. Mai 2011

Bahrain: Abdulhadi Alkhawaja schwer gefoltert. Massenprozess gegen Oppositionelle wegen "Terrorismus".

Gestern, am 8. Mai, wurde vor einem militärischen Sondergericht das Verfahren gegen 21 prominente Oppositionelle eröffnet. Der Prozess wurde auf den 12. Mai vertagt. Bis dahin haben die vom Gericht bestellten Anwälte der Angeklagten Zeit, sich in die Akten einzuarbeiten. Was angesichts der Schwere der Vorwürfe ein lächerlicher Zeitraum ist. Gegen sieben der Angeklagten wurde in Abwesenheit verhandelt. Von diesen halten sich die meisten in Großbritannien auf und haben teilweise Asyl wegen Folter und politischer Verfolgung beantragt. Die Angeklagten sind Schiiten, Sunniten und Säkulare. Sie waren in verschiedenen politischen und sozialen Zusammenhängen aktiv: in Parteien, Menschenrechtsorganisationen, religiösen Gruppen, sozialen Initiativen, auch ein Blogger ist dabei. Diese heterogene Gruppe soll laut Anklage eine "terroristische Organisation" gegründet haben, mit dem Ziel, die Regierung gewaltsam zu stürzen. Dabei soll die Organisation auch mit ausländischen Terroristen, die für ein fremdes Land arbeiten, kooperiert haben.

"Terrorismus" ist in den Gesetzen Bahrains sehr weitgehend definiert. So umfasst die Anklage auch folgende Punkte: "Aufruf zum Umsturz der Regierung", "Beleidigung(!) der Armee", "Verbreitung falscher Nachrichten und Gerüchte, die geeignet sind, die öffentliche Sicherheit und das öffentliche Interesse zu gefährden". Alle diese Anklagpunkte basieren auf einem Gesetz zum "Schutz der Gesellschaft vor Terrorismus" aus dem Jahre 2001.

Alle Verhafteten war während ihrer Haft nur ein einminütiges Telefonat mit einem Angehörigen erlaubt. Weder durften sie Besuch empfangen noch hatten sie Zugang zu rechtlichem Beistand. Zudem waren und sind alle an unbekannten Orten eingesperrt. Diese Haftbedingungen, die jeder Rechtsstaatlichkeit spotten, begünstigen Folter. Im Falle der 14 Inhaftierten ist diese offensichtlich bei allen angewendet worden. Die Gefangenen wurden in langer Kleidung, die auch die Arme vollständig bedeckte, vorgeführt; und das bei Temperaturen von 33° C. Als der Richter die Verhandlung schließen wollte, erhoben alle Angeklagten Protest und verlangten Garantien, nicht weiter gefoltert zu werden. Sie wurden daraufhin von den Wachen angeschrieen und gewaltsam aus dem Saal entfernt.

Zwei Fälle stechen dabei besonders hervor. Mohammed Hassan Jawad Parweez, ein Menschenrechtsaktivist, ist in der Haft vollständig taub geworden. Vorher war er schwerhörig, nun nützt ihm auch sein Hörgerät nichts mehr. Am schlimmsten ist Abdulhadi Alkhawaja gefoltert worden. Er hat eine Wunde unter dem linken Auge, die genäht werden musste, und vier Gesichtsbrüche(!), davon ein Kieferbruch. Er kann kaum sprechen und essen. Vor einigen Tagen war er in einem Militärkrankenhaus operiert worden. Die Operation dauerte vier Stunden und ihm wurden dabei Knochenteile seines Schädels entnommen, um sie in seinem Gesicht zu reimplantieren. Der Zustand Alkhawajas hat die schlimmsten Erwartungen noch übertroffen.

Stellungnahme von Front Line: http://www.frontlinedefenders.org/node/15067
Aufruf von Amnesty International:
http://amnesty.org/en/library/asset/MDE11/024/2011/en/a3f4bc4d-2f1d-4495-8add-624942c92920/mde110242011en.html

8. Mai 2011

Syrien: Kein Ende der Freitagsdemonstrationen in Sicht. Weitere Städte besetzt.

Auch diesen Freitag gingen die Menschen in Syrien auf die Straßen. Ungeachtet aller Drohungen und der Bestrafung Daraas durch die Besetzung der Stadt, in der als erstes nennenswerte Proteste stattfanden. Nur in Daraa und Duma konnten die Menschen nicht auf die Straße gehen. Zu groß war die Präsenz der Geheimdienste und regimetreuen Armeeeinheiten. Dafür gab es Demonstrationen in Städten, die bisher kaum oder keine Proteste gesehen haben. Die Bilanz diesmal: Über 30 Tote. Die meisten gab es wohl bei Homs. Hier haben kleinere Einheiten der syrischen Armee sich auf ihres Auftrages besonnen und das Volk geschützt. Es soll zu Gefechten zwischen den ihnen und regimetreuen Einheiten gekommen sein, bei denen auch Artillerie oder Panzer eingesetzt wurden.
Demonstration in Banyas, 7. Mai 2011
Laut syrischen Medien "bewaffnete Salafisten"
In der Nacht zu Sonnabend sind dann Panzer in Viertel der Hafenstadt Banyas eingedrungen. Diese Viertel waren von den Bewohnern abgeriegelt worden, um Verhaftungen durch die Schergen des Regimes und Überfälle durch Milizen der Baath-Partei zu verhindern. In der Nacht zu Sonntag sind Panzer nun auch im Zentrum von Homs aufmarschiert. In beiden Städten sollen Schüsse, wenn nicht gar auch Artilleriefeuer zu hören gewesen sein. Heute wurde noch die Städte Tafas und Daer besetzt worden sein.

In allen besetzen Städten gibt es weder Internet noch Mobilfunk, häufig auch keinen Strom mehr. Zudem sind landesweite alle G3-Internetzugänge (mobiles Internet) nicht funktionsfähig, angeblich wegen "technischer Störungen". Heute ist nun auch noch der Eisenbahnverkehr in ganz Syrien eingestellt worden, sämtliche Bahnhöfe sind geschlossen. In Homs sollen Schulen als provisorischen Verhaftungs- und Folterzentren benutzt werden. Die jüngsten Verhafteten sollen 13 Jahre alt sein. In Daraa entzündete sich der Protest anfangs u. a. daran, dass Minderjährige verhaftet wurden. Diese waren zwischen 12 und 16 Jahre alt. Als sie aufgrund der Proteste freigelassen wurden, wiesen alle Folterspuren auf.

1. Mai 2011

Allahu akbar

Wörtlich übersetzt heißt es "Gott ist größer", gemeint ist "größer als alles Andere". Aber auch das ist noch schwach in der Übersetzung. Denn das islamische Glaubensbekenntnis impliziert wie jedes andere monotheistische auch: Gott ist einzigartig und deshalb mit nichts vergleichbar. 

Der Satz ist Bestandteil des Pflichtgebets, das ein gläubiger Moslem fünfmal am Tag verrichten soll. Es ist also die Formel, die ein Moslem am häufigsten nutzt. Im Gegensatz zur Praxis des Christentums in (West-)Europa wird in den moslemischen Ländern die Religion weitgehend ausgeübt. Während in Deutschland etwa 1% der Christen gerade mal am Sonntag regelmäßig in die Kirche gehen, wird in moslemischen Ländern das tägliche Gebet überwiegend tatsächlich verrichtet; am Freitag wird das Mittagsgebet meist in der Moschee oder öffentlich zelebriert. Oder anders gesagt: Die "Christen auf dem Papier" in Westeuropa verhalten sich atheistisch, während Moslems in den allermeisten Fällen noch fromm sind.

Wenn also ein Moslem "Allahu akbar" ruft, so bedeutet das erstmal nur, dass er seinen Glauben bekennt, nichts weiter. Ja, es ist auch der Schlachtruf der Islamisten und Fundamentalisten. Aber eben nicht nur. Er kann auch andere Bedeutungen haben, über das reine Glaubensbekenntnis hinaus. Wird "Allahu akbar" auf Demonstrationen gegen einen tyrannischen Herrscher gerufen, so kann dies bedeuten: "Gott ist größer als Du, Du bist auch nur ein Mensch." Und dass nichts, was Menschen geschaffen haben, ewig dauert, schon gar nicht ihre Macht. Es ist dann sozusagen der Einspruch gegen die Hybris, die Selbstüberschätzung und den Größenwahn eines Herrschers. Es kann aber auch, wenn z. B. auf Demonstranten geschossen wird, bedeuten, dass Gott und die Werte der Religion wichtiger sind als das eigene Leben, und, dass es in Gottes Hand liegt, ob man stirbt oder nicht. Und dass man als Mensch ohnehin nicht den Sinn eines solchen oder irgendeines anderen Todes erfassen kann. Das tröstet und stärkt viele Gläubige. Wenn also auf Demonstrationen gegen Tyrannen "Allahu akbar" gerufen wird, kann das auch eine gegenseitige Versicherung sein, das Richtige in Gottes Sinne zu tun und der (Märtyrer-)Tod einen nicht schrecken soll. Für den atheistischen Westeuropäer ist dies schwer nachvollziehbar. Trotzdem ist diese Interpretation des Märtyrertums im Sinne "Lieber aufrecht sterben als auf Knien leben" auch aus anderen, nicht-religiösen Freiheitsbewegungen bekannt.

Auffällig ist, dass der Ruf "Allahu akbar" in Libyen und Syrien häufiger zu hören ist als in Ägypten. In Ägypten gibt es zählbare säkulare bzw. laizistische Kräfte, die in der demokratischen Bewegung sehr aktiv waren und sind. Hier gibt es vor allen in den Großstädten wie Cairo eine Mittelschicht, die viele Ideen und Ansichten ihrer westlichen Vertreter teilt. Auch gab es in Ägypten geduldete, wenn auch vom Regime oft arg bedrängte, liberale Parteien und Organisationen. Ganz anders in Libyen und Syrien. Hier duldeten die Regime keinerlei Oppositionsgruppen neben sich. Eine bürgerliche Zivilgesellschaft ist hier nur in Ansätzen vorhanden. So rückte die Religion als gemeinsamer Nenner der Demonstranten mit in den Vordergrund. In Libyen kam hinzu, dass die Entwicklung schnell in einen militärischen Konflikt mündete. Hier ist in den Gefechten das "Allahu akbar" auch eine Art Beschwörungsformel. Denn im Krieg werden die Verletzlichkeit des Menschen und die Allgegenwärtigkeit des Todes ja besonders drastisch deutlich, so dass der Rückgriff, der Rückbezug (was "religio" bedeutet) auf Gott für einen frommen Menschen sehr nahe liegt. In Syrien hingegen steht die eher laizistisch orientierte Mittelschicht (noch) dem Regime nahe.

Kurzum: Wenn auf Demonstrationen "Allahu akbar" gerufen wird, bedeutet das in den noch stark vom Islam geprägten Ländern der arabischen Region erstmal nichts Spezifisches. Man muss sich schon die Mühe machen herauszufinden, wer das ruft und in welchem Zusammenhang.