14. Mai 2011

Syrien: Mehr Freitagsdemonstrationen. Talkalakh besetzt.

Allen Maßnahmen des Regimes zum Trotz gingen am Freitag wieder Tausende auf die Straßen Syriens. Die Aktivisten hatten nicht allzu große Erwartungen. Kein Wunder: Daraa, und Duma sind weiterhin vollständig von den Bewaffneten des Regimes besetzt. Dazu noch teilweise die Städte Homs, Hama, Banyas, Latakia, Idlib, Jasim, Darayya, Al Tal und weitere. Moscheen wurden überwacht, teilweise abgesperrt. Und es wurde regelrecht Jagd auf Internetaktivisten gemacht, um den Nachrichtenstrom aus dem Land zu unterbinden. Gerüchte besagen, dass hier iranischen "Spezialisten" helfen, die 2009 bei den Protesten nach der Präsidentenwahl im eigenen Land Erfahrungen in der Unterdrückung von Onlineaktivitäten sammelten.

Aber wieder sah Syrien Demonstrationen über das ganze Land verteilt: in Damaskus mit seinen Vorstädten, an der Küste mit Banyas und Latakia, in den kurdischen Regionen im Norden und erst recht im rebellischen Süden der Hauran-Ebene. Selbst im am längsten besetzten Daraa soll es zu Protesten gekommen sein. In vielen Städten sammelten sich mehrere Demonstrationen, weil die Stadtteile durch Straßensperren von einander abgeschnitten waren. Eine Taktik, die das Regime in Damaskus schon vor Wochen praktiziert hat. So kam es allein in Homs zu fünf Demonstrationen. Und insgesamt waren wohl mindestens so viele auf den Straßen wie letzten Freitag. Und diesmal hielt sich das Regime zurück, "nur" sechs Tote. Man kann darüber spekulieren, warum. Vielleicht, weil es weiß, dass die (arabische) Welt am Freitag besonders genau hinsieht. Aber unter der Woche sind allein in Daraa und Homs fünfzig Menschen getötet worden.

Und das Regime setzt weiter auf brutale Repression. In der Nacht zum heutigen Sonnabend marschierte die Armee und die Geheimdienste in die Stadt Talkalakh ein. Talkalakh hat etwa 32.000 Einwohner und liegt 5 km nördlich der libanesischen Grenze. Dort hatten am Freitag 30 Mitglieder der Baath-Partei ihren Austritt erklärt und auf einer Kundgebung das Regime für die Hunderten an Toten der letzten Wochen verantwortlich gemacht. Die Schüsse, die beim Einmarsch und der Besetzung der Stadt fielen, waren von der libanesischen Grenze zu hören, wie Sicherheitskräfte des Nachbarlandes berichteten. Zudem sind etwa 500 Menschen in den Libanon geflohen. Darunter viele mit Schusswunden. Ein 26-jähriger Mann ist in einem libanesischen Krankenhaus gestorben. Mindestens drei weitere Tote soll es in Talkalakh selbst gegeben haben.

Die Medien des Regimes geben als Grund für die Militäraktion in Talkalakh an, in der Stadt sei von "Salafisten" ein "islamisches Emirat" gegründet worden, dagegen habe man vorgehen müssen. Und der TV-Sender der Hizbollah "Al Manar" plappert das nach. Hizbollah ist gegen einen Gottesstaat, man könnte man fast lachen, ginge es nicht um das Leben freiheitsliebender Menschen.

Libyen: Fortschritte im Westen. Lage in Nafusa-Region kritisch.

Am Mittwoch ist es den Aufständischen in Misratah gelungen, den Flughafen der Satdt zu erobern. Dieser liegt etwa 6 km südlich des Stadtzentrums und dort war die letzte größere Ansammlung von Regimetruppen am Rande der Stadt. Von hier aus wurden das Stadtzentrum und der Hafen von Misratah beschossen. Auf dem Gelände liegt auch eine Militärakademie. Reporter berichteten, der ganze Komplex ist nun in den Händen der Aufständischen. Mit der Eroberung wurden auch etwa 60 Familien befreit, die von den Gaddafi-Truppen über zwei Monate als Geiseln gehalten wurden. Zudem fielen den Aufständischen viele Waffen und sehr viel Munition in die Hände. In den letzten Tagen ist es den Kämpfern dann gelungen Misratah vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. Zurzeit stoßen sie weiter Richtung Westen vor und stehen vor den Toren Zlitens.

Zwar ist die Misratah immer noch in Reichweite der Artillerie des Regimes, trotzdem nimmt dieser Sieg Druck von der Stadt und damit auch von der Zivilbevölkerung. Die humanitäre Situation bleibt aber dramatisch. Zur Erinnerung: Die Stadt ist seit 2 Monaten von der regulären Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten.
Wie man einen Panzer außer Gefecht setzt.
Wichtig ist auch die psychologische Seite des Sieges, den die Aufständischen davongetragen haben. Zeigen die Erfolge der letzten Tage doch, dass sie nicht nur Misratah halten können, sondern auch ihre Fähigkeit, Fortschritte zu machen. Das wird u. a. in Tripolis sehr genau wahrgenommen und stärkt den Willen der Opposition dort.

In Tripolis selber kommt es jede Nacht zu Schießereien, die sich mittlerweile auch mal über Stunden hinziehen. Die Benzinkrise verschärft sich. Es gibt Tage, an denen es nirgends mehr Benzin gibt. Die Spannungen nehmen zu. Auch zwischen der regulären Polizei und den Gaddafi-Milizen, insbesondere der Khamis-Brigade. So soll es bei der Beerdigung des Gaddafi-Sohnes Saif Al-Arab zu einer Schlägerei zwischen einem Polizisten und einem Angehörigen der Khamis-Brigade gekommen sein. Zudem muss die Polizei immer häufiger einschreiten, wenn Angehörige der Gaddafi-Milizen sich an den Tankstellen vordrängeln und sofort Benzin verlangen. Bei solchen Auseinandersetzungen soll es auch schon zu Toten gekommen sein. Auch in Az Zawiyah sind die Aufständischen weiterhin aktiv. Und auch hier gibt es Fortschritte, die Operationen werden umfangreicher.

In der Nafusa-Region stellt sich die Lage unterschiedlich dar. Von Westen nach Osten ist die Situation für die Aufständischen zunehmend schlechter. Während der Grenzübergang zu Tunesien und Nalut trotz Attacken relativ gesichert sind, sieht sich Az Zintan immer wieder ernsthaften Angriffen ausgesetzt. Am schlimmsten ist es in Yefren, Al Qala und Kikla. Hier sind die oppositionellen Kämpfer seit einem Monat umzingelt und von jeglichem Nachschub, auch an Nahrungsmitteln, abgeschnitten. Die Kämpfer und die Zivilbevölkerung drohen buchstäblich zu verhungern.