17. März 2011

Ägypten: Verfassungsreferendum am Sonnabend

Am Sonnabend, den 19. März,  stimmt das ägyptische Volk über die von einer Kommission vorgeschlagenen Verfassungsänderungen ab. Dieses Referendum soll ein Meilenstein auf dem Weg zu einem demokratischen Ägypten werden. Die Zustimmung zu den Verfassungsänderungen ist aber unsicher.

Nachdem der oberste Militärrat in Ägypten die Macht übernommen hatte, hat er zügig eine Kommission einberufen, die Verfassungsänderungen entwickelte, um den weiteren Weg zu einer Demokratie zu ermöglichen. Von Anfang an sollte über diese Verfassungsreform eine Volksabstimmung abgehalten werden. Sieben Artikel sollen geändert werden, einer abgeschafft und ein neuer hinzugefügt werden.

Die Änderungen

Artikel 75 bestimmt, dass der Präsident Sohn zwei ägyptischer Eltern sein muss und nicht mit einer Nicht-Ägypterin verheiratet sein darf. Letzteres ist eine Verschärfung der alten Vorschrift. Frauen bleibt weiterhin der Zugang zum höchsten Amt versagt.
Artikel 76 erleichtert die Zugangsvoraussetzungen für eine Kandidatur. Praktisch wichtig ist, dass nun auch 30.000 Unterschriften für eine Kandidatur reichen.
Artikel 77 beschränkt die Amtszeit des Präsidenten auf zwei Wahlperioden von vier Jahren. Bisher waren es sechs Jahre, ohne Beschränkung der Wahlperioden.
Artikel 88 wird dahingehend geändert, dass nun die Präsidentenwahlen von Anfang bis Ende vollständig von der Justiz überwacht werden dürfen.
Artikel 93 bestimmt nun, dass über die Gültigkeit von errungenen Parlamentssitzen in letzter Instanz das Obersten Verfassungsgericht entscheidet. Bisher war dies das Parlament, die alte Regierungspartei hatte mit ihrer Parlamentsmehrheit immer wieder oppositionellen Kandidaten den Sitz entzogen, trotz erfolgreicher Wahl.
Artikel 139 bestimmt nun, dass vom Präsidenten innerhalb von zwei Monaten ein Vizepräsident bestimmt werden muss. Das war bisher eine Kann-Vorschrift.
Artikel 148 bestimmt, dass der Präsident den Ausnahmezustand nur mit Zustimmung des Parlamentes ausrufen darf. Wenn er länger als sechs Monate anhalten soll, muss darüber eine Volksabstimmung durchgeführt werden.
Artikel 179, der berüchtigte Terrorartikel wird gestrichen. Er ermächtigte den Staat grundlegende Bürgerrechte zu missachten, wenn "Terrorgefahr" drohte. Dadurch kam es u. a. zu jahrelangen Inhaftierungen ohne gerichtliche Grundlage.
Artikel 189 wird neu eingeführt und bestimmt, dass der Präsident oder das Parlament für weitere Verfassungsänderungen eine Kommission bestimmen kann, die innerhalb von sechs Monaten eine neue Verfassung vorlegen muss, die per Volksabstimmung bestätigt werden muss.

Der Zeitplan des Armeerates

Das weitere Vorgehen hat der Armeerat wie folgt bestimmt. Nach der Verfassungsänderung soll im Juni der neue Präsident gewählt werden. Im August dann das neue Parlament. Danach will der Armeerat seine Macht an die neue Regierung abtreten.

Kritik an den Verfassungsänderungen

Neben handwerklichen Fehlern wie unklaren Formulierungen gibt es viel Kritik an den vorgeschlagenen Änderungen. So fehlen Regelungen für die Parlamentswahl, z.B. über die Zulassung bzw. Gründung von Parteien. Hier würden de jure die alten, restriktiven Regelungen gelten. De facto werden die zur Zeit ignoriert. Es haben sich einige neue Parteien gebildet, andere sind in Bildung. Aber eine gesetzliche Absicherung dafür gibt es nicht.

Die grundlegendste Kritik ist die, dass es mit Änderungen nicht getan sei. Die Verfassung, die im Wesentlichen aus dem Jahre 1972 stammt und auf den damaligen Präsidenten Anwar as-Sadat zugeschnitten wurde, sei nicht zu retten. Sie räume dem Präsidenten eine Machtfülle ein, die demokratischen Prinzipien widerspreche. Und in der Tat ist die ägyptische Verfassung eine Präsidialverfassung. Der Präsident ernennt die Regierung, alle Gouverneure, kann das Parlament ohne Angabe von Gründen auflösen etc. pp. Die demokratischen Kräfte verlangen eine parlamentarische Demokratie. In der klar das Machtzentrum beim Parlament liegt. Zudem sind die Gewaltenteilung und die bürgerlichen Freiheitsrechte nicht klar genug in der Verfassung verankert. Über die reine Deklaration hinaus gibt es kaum Mechanismen, diese zu garantieren.

Die Kritik an den Verfassungsänderungen ist weit verbreitet. Der Ausgang der Abstimmung ist völlig unklar. Immerhin das erste Mal bei einem Wahlentscheid in der Geschichte Ägyptens, wie die demokratischen Kräfte mit einer gewissen Befriedigung feststellen. Für den Fall, dass die Änderungen abgelehnt werden, hat der Armeerat keinen alternativen Plan B. Der Weg Ägyptens ist also weiterhin offen.