24. April 2011

Libyen: Buchtipp - "Im Land der Männer" von Hisham Matar

Hisham Matar ist 1970 in New York geboren. Sein Vater war damals Mitglied der UN-Mission Libyens. 1973 zog sich sein Vater aus dem diplomatischen Dienst zurück. Gaddafi hatte die Verfassung Libyens suspendiert – seitdem hat Libyen keine geschriebene Verfassung mehr – und sich zum lebenslangen "Revolutionsführer" ernannt. 1979 musste die Familie nach Cairo fliehen. Matars Vater war zum Oppositionellen geworden. 1990 wurde er aus Cairo verschleppt, von ägyptischen Geheimdienstlern, die ihn den Libyern übergaben. 1993 hat die Familie einen Brief des Vaters aus dem berüchtigten Abu Salim-Gefängnis erhalten. Das war das letzte Lebenszeichen seines Vaters. Ob Matars Vater noch lebt, ist unbekannt. 1986 ging Matar nach London, wo er heute noch lebt. 2006 veröffentlichte Hisham Matar seinen Erstling "Im Land der Männer".

Das Buch ist keine Autobiographie, obgleich es autobiographisch geprägt ist. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des neunjährigen Suleiman. Der Vater und die Mutter spielen dabei die Hauptrollen. Das Buch handelt von vielen Dingen, was es so reizvoll macht. Davon, dass der Junge seinen Vater vermisst, der ständig auf "Geschäftsreise" ist. Von der Mutter, die in einer erzwungene Ehe gefangen ist und doch ohne ihren Mann nicht kann. Von Poesie und wie sie auch missbraucht werden kann. Von Freundschaft und Verrat. Und natürlich von den politischen Zuständen in Libyen im Jahre 1979.

Angenehm auffallend ist, neben der Liebe zu Details und der poetischen Kraft des Buches, die schonungslose Offenheit, mit der "Suleiman" von seiner Kindheit berichtet. Es ist eben kein Heldenroman über tapfere Dissidenten in einem diktatorischen Regime. Aber so ist es nun mal, nicht jeder ist ein "Held". Und oft gibt es dafür gute, zumindest legitime Gründe. Wer nicht in einer Diktatur lebt, kann schließlich nicht sicher sagen, wie er oder sie sich in solchen extremen Situationen verhalten würde. Aber es sind die Umstände, die den Menschen dann entwürdigen. Auch davon handelt das Buch. Also: kaufen, sich schenken lassen und - lesen!

Hisham Matar, Im Land der Männer, btb Verlag 2008, 8,95 €

Siehe auch: Hisham Matar, Bis der Schmerz nachlässt, FAZ, 3. März 2011

Syrien: Ausnahmezustand weiterhin in Kraft. Über 100 Tote.

Unter der Woche hatte Präsident Assad den Ausnahmezustand de jure aufgehoben. Fast alle oppositionellen Stimmen aus Syrien wiesen daraufhin, dies sei unwichtig, solange de facto auf friedliche Demonstranten geschossen werde. Und am Freitag bewies das Regime, wie Recht sie hatten.
Präsident Assad hebt den Ausnahmezustand auf.
Die Karikatur erschien schon vor den Ereignissen am Freitag.
Über 100 Tote allein am Freitag ist die Schreckensbilanz des "Reformers" Assad. Wieder erhoben sich mehr Städte als zuvor, obwohl die Geheimdienst- und Militärpräsenz stärker war als die letzten Freitage. Darunter zwei zentrale Stadtteile von Damaskus, in denen zum ersten Mal Demonstrationen stattfanden. Am schlimmsten traf die tödliche Gewalt Homs mit 28 namentlich bekannten Toten und Izra mit 20; darunter ein zehnjähriger Junge. Die Zahl der Verletzten dürfte in die Hunderte gehen. In den Videos sind sehr häufig Kopfschüsse zu sehen. Zusammen mit den Berichten über Scharfschützen ist klar, dass hier das Töten die Absicht war. Zudem wurde mit automatischen Waffen in Menschenmengen geschossen.

Heute zeitweise gehackte Seite von Addounia TV (im Besitz von Rami Makhluf)
Grobe Aussage: "Wir werden diese Ungeheuerlichkeiten niemals vergessen!"
Bei den heutigen Trauerzügen für die Toten gestern kam wieder zu Toten. Mindestens fünf davon bei den Versammlungen in und bei Izra. Ein Reporter von Al Jazeera, der von Damaskus auf dem Weg nach Amman war, weil er des Landes verwiesen wurde, wurde Augenzeuge. Er schilderte wie wahllos in die Trauergemeinde, die Zehntausende umfasste, geschossen wurde. Aus Daraa, Sanamein, Suwaida und anderen Städten waren die Menschen in Bussen und Autos nach Izra gefahren, um ihre Solidarität mit der Stadt zu demonstrieren.
Aus Protest gegen das Morden durch das Regime sind heute zwei Abgeordnete des syrischen Parlaments zurückgetreten: Naser al-Hariri und Khalil al-Rifaei. Zudem trat der vom Staat eingesetzte Mufti Daraas, Rizk Abdulrahim Abazid, zurück. Er erklärte: "Alles, was wir fordern, sind unsere Rechte" und "Die Menschen werden vor unsere Augen getötet und wir können nichts tun". Ähnlich äußerten sich auch die beiden ehemaligen Abgeordneten.

So langsam nimmt auch die internationale Presse das Ausmaß dessen wahr, was in Syrien passiert. Darüber hinaus gab es jetzt z. B. eine Erklärung des Präsidenten der USA, in der die Gewalt des Assad-Regimes verurteilt wird. Vorher waren es nur Stellungnahmen eines Sprechers des Außenministeriums. Das ist schon ein Unterschied, welchen auch das syrische Regime wahrnimmt. Es fühlte sich nämlich bemüßigt, darauf zu antworten; es war das Übliche, was in solchen Fällen von Diktaturen erklärt wird: Es handele sich um die Einmischung in innere Angelegenheiten Syriens und die Stellungnahme sei "unverantwortlich." Gegenüber arabischen Fernsehstationen sollen Vertreter des Regimes buchstäblich mit Geschrei auf kritische Fragen reagieren. Einzig die iranischen Medien stützen Assad. Kein Wunder, ist Syrien doch der engste Verbündete der Mullahs und der Hizbollah im Libanon.