13. März 2011

Saudi-Arabien: Die Heuchelei des Westens

Wenn westliche Politiker oder Journalisten vor der "islamistischen" Gefahr in einem arabischen Land warnen oder mangelnde demokratische Rechte beklagen, antworten arabische Intellektuelle gelegentlich: "Wo ist das Problem? Der Westen hat doch beste Beziehungen zu Saudi-Arabien und schweigt zu den Verhältnissen dort." In der Tat ist Saudi-Arabien eines der besten Beispiele für die Heuchelei des Westens, wenn es um Demokratie und Menschenrechte geht.

Seit 1744 ist das Haus der Saud mit der wahhabitischen Richtung des Islam verbunden. Das Königshaus begründet seinen Machtanspruch als Hüter des Islam, der Wahhabitismus ist also konstituierend für Saudi-Arabien. Die Wahhabiten sind besonders konservativ und dogmatisch - kurz das, was im Westen als "Fundamentalismus" bezeichnet wird. Dieser Fundamentalismus prägt das politische und soziale Leben in Saudi-Arabien bis in den Alltag. Elementare Menschenrechte werden verletzt und politische Rechte verweigert.

Politisch ist Saudi-Arabien eine absolute Monarchie. Alle exekutive und legislative Gewalt liegt beim König. Er allein entscheidet, was Gesetz ist und wie dies angewandt wird. Es gibt zwar einen Ministerrat, dessen Mitglieder seit 2005 zur Hälfte gewählt werden (die andere Hälfte wird weiterhin vom König bestimmt), aber dieser Rat hat nur eine beratende Funktion und ist ausschließlich dem König verantwortlich. Die Gerichtsbarkeit orientiert sich bei ihren Entscheidungen am Koran, der Sunna und der Sharia. Alle Richter werden vom König ernannt (auf Vorschlag eines Rates von Juristen). Er ist auch letzte juristische Instanz. Folglich liegt auch die rechtsprechende Gewalt letztlich beim König.

Poltische Parteien und Gewerkschaften sind verboten. Die Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Das Internet wird zensiert. Demonstrationen und Kundgebungen sind generell verboten. Unabhängige Menschenrechtsgruppen müssen illegal arbeiten.

In Saudi-Arabien wird die Todesstrafe praktiziert, pro Jahr werden über 100 Hinrichtungen öffentlich vollzogen. Auch die Anwendung von Körperstrafen ist Bestandteil des Rechtssystems. Meistens handelt es sich um Auspeitschungen. Menschen werden ohne Gerichtsbeschluss verhaftet und teilweise über Jahre festgehalten, ohne anwaltlichen Beistand und Familienbesuch. Zudem wird in Saudi-Arabien gefoltert. Die Isolation der Verhafteten von der Außenwelt begünstigt diese Folterungen. Außer der sunnitischen Richtung des Islams sind alle anderen Religionen verboten, ihre Ausübung, insbesondere die öffentliche wird bestraft.

Ein besonderes Kapitel ist die Situation der Frauen. Frauen bedürfen für wesentliche Entscheidungen der Zustimmung ihres männlichen Vormundes. Das ist anfangs der Vater und später der Ehemann. So dürfen sie ohne dessen Zustimmung nicht das Land verlassen. Vor Gericht zählen die Aussagen von Frauen nur die Hälfte (nur wenn zwei Frauen einen Tatbestand bezeugen, gilt er als erwiesen). Und auch sonst ist die Rechtssprechung diskriminierend, so wird z. B. die (Mit-)Schuld für eine Vergewaltigung häufig bei der Frau gesucht und "festgestellt" - mit darauf folgender Bestrafung der Frau. Für Frauen herrscht Schleierpflicht, d.h. bis auf das Gesicht und die Hände muss der Körper bedeckt sein. Darüber und über anderes wacht die Religionspolizei. Saudi-Arabien ist das einzige Land der Welt, in dem es Frauen verboten ist, ein Auto zu fahren.

Die außenpolitische Orientierung Saudi-Arabiens und seine Rolle als zuverlässiger Öllieferant bewahren das Königreich vor offizieller Kritik des Westens den Verhältnissen im Land. Genug zu kritisieren gäbe es.