1. Mai 2011

Allahu akbar

Wörtlich übersetzt heißt es "Gott ist größer", gemeint ist "größer als alles Andere". Aber auch das ist noch schwach in der Übersetzung. Denn das islamische Glaubensbekenntnis impliziert wie jedes andere monotheistische auch: Gott ist einzigartig und deshalb mit nichts vergleichbar. 

Der Satz ist Bestandteil des Pflichtgebets, das ein gläubiger Moslem fünfmal am Tag verrichten soll. Es ist also die Formel, die ein Moslem am häufigsten nutzt. Im Gegensatz zur Praxis des Christentums in (West-)Europa wird in den moslemischen Ländern die Religion weitgehend ausgeübt. Während in Deutschland etwa 1% der Christen gerade mal am Sonntag regelmäßig in die Kirche gehen, wird in moslemischen Ländern das tägliche Gebet überwiegend tatsächlich verrichtet; am Freitag wird das Mittagsgebet meist in der Moschee oder öffentlich zelebriert. Oder anders gesagt: Die "Christen auf dem Papier" in Westeuropa verhalten sich atheistisch, während Moslems in den allermeisten Fällen noch fromm sind.

Wenn also ein Moslem "Allahu akbar" ruft, so bedeutet das erstmal nur, dass er seinen Glauben bekennt, nichts weiter. Ja, es ist auch der Schlachtruf der Islamisten und Fundamentalisten. Aber eben nicht nur. Er kann auch andere Bedeutungen haben, über das reine Glaubensbekenntnis hinaus. Wird "Allahu akbar" auf Demonstrationen gegen einen tyrannischen Herrscher gerufen, so kann dies bedeuten: "Gott ist größer als Du, Du bist auch nur ein Mensch." Und dass nichts, was Menschen geschaffen haben, ewig dauert, schon gar nicht ihre Macht. Es ist dann sozusagen der Einspruch gegen die Hybris, die Selbstüberschätzung und den Größenwahn eines Herrschers. Es kann aber auch, wenn z. B. auf Demonstranten geschossen wird, bedeuten, dass Gott und die Werte der Religion wichtiger sind als das eigene Leben, und, dass es in Gottes Hand liegt, ob man stirbt oder nicht. Und dass man als Mensch ohnehin nicht den Sinn eines solchen oder irgendeines anderen Todes erfassen kann. Das tröstet und stärkt viele Gläubige. Wenn also auf Demonstrationen gegen Tyrannen "Allahu akbar" gerufen wird, kann das auch eine gegenseitige Versicherung sein, das Richtige in Gottes Sinne zu tun und der (Märtyrer-)Tod einen nicht schrecken soll. Für den atheistischen Westeuropäer ist dies schwer nachvollziehbar. Trotzdem ist diese Interpretation des Märtyrertums im Sinne "Lieber aufrecht sterben als auf Knien leben" auch aus anderen, nicht-religiösen Freiheitsbewegungen bekannt.

Auffällig ist, dass der Ruf "Allahu akbar" in Libyen und Syrien häufiger zu hören ist als in Ägypten. In Ägypten gibt es zählbare säkulare bzw. laizistische Kräfte, die in der demokratischen Bewegung sehr aktiv waren und sind. Hier gibt es vor allen in den Großstädten wie Cairo eine Mittelschicht, die viele Ideen und Ansichten ihrer westlichen Vertreter teilt. Auch gab es in Ägypten geduldete, wenn auch vom Regime oft arg bedrängte, liberale Parteien und Organisationen. Ganz anders in Libyen und Syrien. Hier duldeten die Regime keinerlei Oppositionsgruppen neben sich. Eine bürgerliche Zivilgesellschaft ist hier nur in Ansätzen vorhanden. So rückte die Religion als gemeinsamer Nenner der Demonstranten mit in den Vordergrund. In Libyen kam hinzu, dass die Entwicklung schnell in einen militärischen Konflikt mündete. Hier ist in den Gefechten das "Allahu akbar" auch eine Art Beschwörungsformel. Denn im Krieg werden die Verletzlichkeit des Menschen und die Allgegenwärtigkeit des Todes ja besonders drastisch deutlich, so dass der Rückgriff, der Rückbezug (was "religio" bedeutet) auf Gott für einen frommen Menschen sehr nahe liegt. In Syrien hingegen steht die eher laizistisch orientierte Mittelschicht (noch) dem Regime nahe.

Kurzum: Wenn auf Demonstrationen "Allahu akbar" gerufen wird, bedeutet das in den noch stark vom Islam geprägten Ländern der arabischen Region erstmal nichts Spezifisches. Man muss sich schon die Mühe machen herauszufinden, wer das ruft und in welchem Zusammenhang.