3. März 2011

Libyen: Das Massaker im Abu Salim-Gefängnis am 29. Juni 1996

Im berüchtigten Abu Salim-Gefängnis in Tripolis fand am 29. Juni 1996 ein Massaker statt, bei dem etwa 1.200 Gefangene getötet wurden. Dieses Massaker ist eines der zentralen Ereignisse in der jüngeren Geschichte Libyens und hat Auswirkungen bis zur Gegenwart.

Am 28. Juni 1996 nahmen Insassen eines Zellenblockes einen Wärter, der bei der Essensausgabe anwesend war, gefangen. Hunderte Gefangene aus anderen Blöcken schlossen sich dem Aufstand an. Grund für die Revolte waren die Verschärfungen der Haftbedingungen, die nach einem Ausbruch im Jahr zuvor verhängt worden waren. Einige Minuten danach schossen Wächter von den Dächern auf die Gefangenen. Diese nahmen eine weitere Geisel. Bei diesen ersten Schüssen wurden mehr als ein Dutzend der Gefangenen verletzt, es gab auch Tote.

Eine halbe Stunde später erschienen Sicherheitskräfte, angeführt von Abdullah Sanussi, der mit einer Schwester von Gaddafis Frau verheiratet ist. Er befahl das Feuer einzustellen und forderte die Gefangenen auf, Unterhändler für Verhandlungen zu benennen. Die Gefangenen forderten saubere Kleidung, Hofgänge unter freiem Himmel, bessere medizinische Versorgung, Familienbesuche und eine rechtliche Anhörung ihrer Fälle vor einem Gericht, denn die meisten waren ohne gerichtliche Grundlage eingesperrt. Sanussi versprach, die Forderungen bezüglich der Haftbedingungen zu erfüllen, und verlangte im Gegenzug, dass die Gefangenen in ihre Zellen zurückkehrten und die Geiseln freilassen. Die Gefangenen willigten ein und übergaben einen der Wärter lebend, der andere war tot (es ist unklar, ob er von den Gefangenen oder durch die Schüsse der Wärter getötet wurde). Das Sicherheitspersonal entfernte die Leichen der getöteten und führte die verwundeten Gefangenen ab, damit sie medizinisch versorgt würden. Mehr als hundert kranke Gefangene wurden zu Bussen gebracht, um sie angeblich in ein Krankenhaus zu fahren. Die Busse fuhren aber nur auf die Rückseite des Gefängnisses. Diese sollen dann später mehrheitlich hingerichtet worden sein.

Am 29. Juni fingen Sicherheitskräfte gegen 5.00 Uhr an, Gefangene nach Gruppen zu trennen. Diejenigen, die aus den Zellenblöcken stammten, die am Aufstand teilgenommen hatten, wurden auf mehreren Höfen zusammengetrieben. Das war gegen 9.00 Uhr abgeschlossen. Um 11.00 Uhr begann das Massaker mit dem Einsatz von Handgranaten und Maschinenpistolen gegen die wehrlosen Insassen. Durchgeführt wurde es von Spezialeinheiten in militärischen Uniformen. Das Massaker zog sich über mehr als eine Stunde hin, danach wurden die Gefangenen, die noch nicht tot waren, einzeln mit Pistolenschüssen hingerichtet. Schätzungen zufolge wurden dabei etwa 1.200 Gefangene getötet.

Erst ab dem Jahre 2001 wurde den Familien von getöteten Gefangenen der Tod ihrer Angehörigen ohne weitere Angaben mitgeteilt. Bis zum Jahr 2004 leugnete die Regierung, dass es diesen Vorfall überhaupt gegeben hat. Erst danach gab sie zu, dass Menschen getötet wurden. Wobei der Chef des Inlandsgeheimdienstes angab, dass die Gefangenen Waffen erbeutet hätten. Seit 2005 gibt es offiziell eine Untersuchung der Ereignisse seitens des Justizministeriums.

Am 15. Februar 2011 gab es in Benghazi eine Demonstration mit mehreren hundert Teilnehmern gegen die Festnahme des Anwalts Fathy Terbil, der Familienangehörige von Opfern des Massakers im Abu Salim-Gefängnisses vertritt. Diese Demonstration war der Auftakt der aktuellen Proteste gegen das Gaddafi-Regime in Benghazi.

Libyen: Offensive des Regimes zurückgeschlagen

 Gestern fielen bewaffnete Kräfte des Regimes überraschend in Brega ein. Etwa 300-400 Soldaten besetzten in einem Blitzangriff das Stadtzentrum, den Hafen mit der Ölraffinerie und den Flughafen. Unterstützt wurden sie dabei von zwei Kampfflugzeugen, die Bomben abwarfen. Nach zwei Stunden konnten die Angreifer aus dem Stadtzentrum vertrieben werden, später auch noch aus dem Hafen und dem Flughafen. Auf Seiten der Aufständischen wurde 14 Tote gezählt, darunter auch ein 14-Jähriger, der bei einem der Luftangriffe umkam. Einer der Jets soll abgeschossen worden sein. Gleichzeitig gab es Luftangriffe auf Ajdabiya. Im Westen gab es kleinere Gefechte. Hierzu und zu dem Angriff auf Ajdabiya liegen keine Berichte über Opfer vor. Unter den Angreifern auf Brega waren auch alte Männer, die scheinbar zwangsrekrutiert wurden.


Für morgen, Freitag, sind wieder Demonstrationen in Tripolis angekündigt. Die Opposition hofft, dass dann die in Tripolis anwesenden Journalisten dafür sorgen, dass der Welt klar wird, dass Tripolis, keine "Hochburg" des Gaddafi-Regimes ist, sondern einzig die Präsenz der Chergen des Regimes zur Zeit Demonstrationen verhindert. Berichte über eine Verhaftungswelle deuten daraufhin, dass das Regime auch in Tripolis zunehmend nervöser wird.

Ägypten: Premierminister Ahmed Shafiq zurückgetreten

Ahmed Shafiq hat seinen Rücktritt eingereicht, der vom Obersten Armeerat Ägyptens angenommen wurde. Nachfolger im Amt wird Essam Sharaf.

Der Rücktritt Shafiqs war in letzter Zeit eine zentrale Forderung der demokratischen Kräfte. Der geschäftsführende Regierungschef war noch von Mubarak eingesetzt worden. Zahlreiche Vorfälle haben den Kräften der Revolution gezeigt, dass die Aufgabe, ein demokratisches und freies Ägypten zu schaffen, noch lange nicht beendet ist. So wurden Demonstranten, die letzten Freitag nach Ende der Demonstration auf dem Tahrir-Platz in Cairo bleiben wollten, von Militärpolizei verjagt und teilweise festgenommen. Dabei wurden seitens des Militärs Schlagstöcken und Elektroschockgeräte eingesetzt. Ein Demonstrant wurde diese Woche von einem der berüchtigten Sondergerichte zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Ihm stand noch nicht einmal ein Verteidiger zur Verfügung. Gefangene, die im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die koptische Kirche in Alexandria am Neujahrstag verhaftet worden waren, müssen eigentlich laut einem Gerichtsbeschluss auf freien Fuß gesetzt werden, da kein Tatverdacht gegen sie besteht. Die Sicherheitsbehörden weigern sich aber, sie freizulassen. Dies ist nach dem Gesetzen des immer noch bestehenden Ausnahmezustandes möglich. Pikant daran ist, dass mittlerweile der ehemalige Innenminister Al Adly beschuldigt wird, hinter diesem Anschlag zu stecken. Während seiner Amtszeit wurden die offensichtlich Unschuldigen verhaftet. Während Zehntausende Ägypter aus Libyen fliehen und in Tunesien stranden, tut die Regierung zu wenig, um die Lage ihrer Landsleute zu verbessern oder sie aus Tunesien herauszuholen. Fast alle Initiativen, die den meist völlig mittellosen Flüchtlingen helfen, sind privat.

Im Falle von Ahmed Shafiq brachte wohl eine Talkshow das Fass zum Überlaufen, die gestern abend auf einem ägyptischen Sender lief. Zum ersten Mal war Shafiq direkt mit den Fragen von Oppositionellen konfrontiert. Ohne die sonst in Arabien übliche vorherige Absprache der Fragen mit dem Minister. Und er machte dabei keine gute Figur. Er bezeichnete die Institutionen der Staatssicherheit als "heilig" und jammerte rum, dass sich die Polizei kaum auf die Straße traue. (Bissiger Kommentar des Bloggers @sandmonkey dazu: "Polizisten, die zur Polizei gegangen sind, weil sie dann Leute schlagen und Bestechungsgelder annehmen können, sollten ihren Job kündigen, wenn jetzt die 'Spielregeln' geändert werden.") Die Aufhebung des Ausnahmezustandes wollte Shafiq erst nach den Wahlen, also in sechs Monaten, sehen. Fragen nach dem Verbleib des Außenministers, der wegen Untätigkeit in der Libyenkrise unter schwerem Beschuss steht, wich er aus. Wie er auch anderen Fragen auswich.

Essam Sharaf, der neue Premierminister, ist ein Wunschkandidat der Opposition; und zwar von der "Koalition der Revolutionären Jugend" bis hin zur Muslimbruderschaft. Er war von 2004-2005 Transportminister des Landes. Er trat nach einem schweren Zugunfall zurück, denn nach seiner Aussage waren die allgegenwärtige Korruption und mangelnde Finanzmittel für die Verkehrsinfrastruktur Gründe für dieses Eisenbahnunglück. Im Januar und Februar dieses Jahres fand man ihn dann auf Seiten der Demonstranten gegen Mubarak.