9. April 2011

Libyen: Patt im Osten, Misratah und Nafusa-Region unter Druck

Der Übergang des Kommandos von der Koalition auf die NATO verlief wohl nicht reibungslos. Auch haben sich die Truppen des Regimes auf die Luftangriffe eingestellt, indem sie kleinere und auch zivile Fahrzeuge benutzen. Daneben gibt es den Verdacht, dass die Türkei auf die Bremse tritt, was die militärischen Aktionen anbelangt. Wohl um nicht als reiner Erfüllungsgehilfe des Westens dazustehen und weil sie in Libyen eigene Interessen haben.

Zudem mangelt es noch an der Abstimmung zwischen den Aufständischen und der NATO. Das ist auch der Grund für die zwei Vorfälle, in denen bewaffnete Aufständische durch "friendly fire" der NATO umgekommen sind. Bei dem ersten sollen laut NATO Schüsse aus Luftabwehrgeschützen abgegeben worden sein, so dass sich  Piloten in den NATO-Jets angegriffen fühlten. Möglicherweise handelte es sich um eine Art Begrüßungssalut durch die Kämpfer der Aufständischen. Beim zweiten Vorfall dieser Art sind erstmals Panzer seitens der Aufständischen eingesetzt worden. Die militärische Führung des Übergangsrates will die NATO darüber vorher informiert haben. Diese will davon nichts gewusst haben.

Die Aufständischen haben sich schon öffentlich über den aus ihrer Sicht mangelnden NATO-Einsatz beschwert. Die NATO verweist darauf, dass sie darauf bedacht ist, zivile Opfer zu vermeiden und die Situation recht unübersichtlich sei. Es ist anzunehmen, dass mittlerweile alle größeren Objekte, die mit der Luftverteidigung zu tun haben, zerstört sind; wohl hauptsächlich durch die Cruise Missiles der USA. Auch sind in der ersten Phase unter dem Kommando der Koalition Kasernen und Munitionslager in Tripolis und anderswo zerstört worden, die keine unmittelbare Bedrohung für Zivilisten darstellten. Die NATO gab an, die bisherigen Einsätze hätten 30% der Militärstärke des Regimes zerstört; wie immer man so etwas berechnet.

Auch wenn sich die Taktik der Regime-Truppen geändert hat und viele größere Ziele mittlerweile zerstört sind, scheint die NATO defensiver als die Koalition zu Anfang zu agieren. Dafür kommen drei Gründe infrage:
  • Die NATO will nicht in einen echten Krieg verwickelt werden. Je defensiver sie agiert, desto eher kann sie sich auch zurückziehen.
  • Die NATO nimmt mehr Rücksicht auf die Türkei und die arabischen Staaten. Alles, was über den unmittelbaren Schutz von Zivilisten hinausgeht, vermeidet sie, um nicht den Eindruck zu erwecken, sich in die libyschen Angelegenheiten einzumischen.
  • Für die NATO ist der Übergangsrat nicht berechenbar und sie wollen sich nicht völlig auf dessen Seite schlagen, bevor klar ist, mit wem sie es zu tun haben. Oder sie wollen Zugeständnisse vom Übergangsrat und bis dahin halten sie sich zurück.
Denkbar ist auch die Vermischung zweier oder aller Motive.

Im Ergebnis kommen die Aufständischen im Osten nicht voran. Mal haben sie Brega unter Kontrolle, und dann müssen sie sich wieder aus der Stadt zurückziehen. So bleibt auch Ajdabiya unter ständiger Bedrohung, so dass viele Bewohner dieser Stadt nach Benghazi geflüchtet sind.

Im Westen steht insbesondere Mistarah steht unter Druck. Von allen Seiten eingekreist, ist nur der Zugang zur See einigermaßen sicher. Eine Schiffslieferung aus Benghazi, die auch Waffen enthielt, wurde von Schiffen Kanadas und der Türkei gestoppt. Äußerungen des französischen Außenministers einen Tag später deuteten an, dass man sich innerhalb der NATO nun darauf verständigt hat, auch Waffenlieferungen an die Verteidiger Misratahs zuzulassen. Eine Bestätigung dafür steht noch aus. Aber es hat auch eigentlich keine Seite ein Interesse daran, dies groß an die Glocke zu hängen. - Noch mal zur Erinnerung: Die Stadt ist die drittgrößte des Landes mit etwa 500.000 Einwohnern und wird seit vierzig Tagen mit schweren Waffen angegriffen, seit mehr als drei Wochen ist die Wasser- und Stromversorgung im Wesentlichen unterbrochen.

Südlich von Tripolis liegt das Nafusa-Gebirge mit Städten wie Az Zintan und Yafran. Auch hier kommt es immer wieder zu Gefechten. Kikla, eine Stadt mit 10.000 Einwohnern, scheint den schwersten Angriffen ausgesetzt zu sein. Mittlerweile haben sich die Städte untereinander koordiniert, so dass sie sich bei größeren Angriffen des Regimes gegenseitig beistehen. Zudem kommen ihnen die Kenntnisse der Gegend sehr zu Hilfe. Nur sehr vereinzelt haben Angriffe der NATO für leichte Entlastung gesorgt. Mehrere hundert Menschen, aus der Region, v. a. Frauen und Kinder, sind nach Dehiba, einer Grenzstadt in Tunesien mit 4.000 Einwohnern geflohen. Sie mussten einen Umweg durch die Sahara nehmen, da der Grenzübergang von Regimetruppen kontrolliert wird. Die tunesischen Behörden und Bewohner tun, was sie können. Doch hier und v. a. in der Nafusa-Region selbst wäre Hilfe dringend nötig. Zumal dieser Teil des Landes für die internationalen Medien ein blinder Fleck zu sein scheint.

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