15. Februar 2011

Kleine Schritte und eine große Veränderung

Der Militärrat hat nun schon heute die Kommission für die Verfassungsänderung ernannt. Die Auswahl des Vorsitzenden Tareq al-Bishry stieß fast ohne Ausnahme auf Zustimmung. Einzig koptische Kreise äußerten Vorbehalte, gilt Bishry doch als "moderater Islamist". Er war bis zu seiner Pensionierung als Richter ein Kämpfer für die Unabhängigkeit der Justiz. Ihm zur Seite stehen sieben weitere Juristen, darunter Sobhy Saleh, ein ehemaliges Parlamentsmitglied und Mitglied der Muslimbruderschaft (MB). Diese Berufung stößt auf sehr viel Kritik, naturgemäß v.a. von Seiten der Kopten und der säkularen Kräfte. Eventuell deutet sich hier seitens des Militärrates eine Politik an, die MB in den Prozess des Übergangs mit einzubeziehen. Inhaltlich haben die Militärs der Kommission die Änderung der Artikel 76, 77, 88, 93 und 189 aufgetragen. Diese betreffen die Wahlen, das Parlament und die Dauer der Präsidentschaft. Der berüchtigte Artikel 179, der "Terrorismusartikel" soll abgeschafft werden.

Heute wurde auch bekannt, dass der Abteilungsleiter für die öffentliche Sicherheit im Innenministerium, Adly Fayed, entlassen wurde, ebenso der Sicherheitschef von Cairo, Ismail El Shaer. Beide wegen ihrer Verwicklung in den Schießbefehl gegen Demonstranten.

Ägypten hat die USA, Frankreich und Großbritannien aufgefordert, eventuell vorhandene Konten und Vermögenswerte von Mubarak zu sperren.

Finanzminister Samir Radwan gab bekannt, dass die Regierung plane, den Hinterbliebenen der getöteten Demonstranten eine Rente von 1.500 Pfund (ca. 128 Euro) zu gewähren. Die Mehrheit der Ägypter verdient weniger.

Zahlreiche Initiativen rufen die Ägypter auf, ihr bisheriges Verhalten zu ändern. Die geschieht über SMS-Ketten, Facebookgruppen oder andere elektronische Formen der Verbreitung. Aufgerufen wird, die Verkehrsregeln einzuhalten, keinen Müll auf die Straße zu werfen, die allgegenwärtige Bestechung zu bekämpfen oder Betrügereien nicht zu dulden. Gefordert wird aber auch, die Wirtschaft durch Investitionen, und seien sie noch so klein, zu stärken und nicht zu viel Geld von den Banken abzuziehen oder gar große Summen in Dollar umzutauschen. Es scheint, als hätten die Ägypter das Gefühl, dies sei jetzt ihr Land und man solle daher das Land und seine Menschen pfleglich behandeln.

Der Weg zum Rechtsstaat

Jahrzehntelang sind die Menschenrechte in Ägypten mit Füßen getreten worden. Deshalb haben sich unabhängige Menschenrechtsgruppen gebildet, die häufig genug in ihrer Arbeit behindert wurden, ja deren Mitglieder ebenfalls Opfer staatlicher Repression wurden. Aus ihren oft leidvollen Erfahrungen können sie sicher einen fundierten Beitrag zum Aufbau demokratischer Strukturen in Ägypten leisten. Denn gerade sie kennen das repressive System, wissen, wo anzusetzen ist, um nachhaltig einen Wandel herbeizuführen.

Nur einen Tag nach dem Sturz Mubaraks hat das "Forum unabhängiger Menschenrechtsgruppen" seine Agenda für die Übergangszeit vorgelegt. Das Forum nennt sie die "Roadmap for a Nation of Rights and the Rule of Law". Einige der Forderungen sind mittlerweile erfüllt, viele andere nicht. Ich will hier die wichtigsten kurz referieren.
  • Als erstes wird der Militärrat aufgefordert, dass Ägypten seine Diplomaten anweist, die "Koalition der Feinde der Meschenrechte" zu verlassen und insbesondere die destruktive Politik in den UN-Ausschüssen zu den Menschenrechten zu ändern.
  • Die Auflösung sämtlicher "gewählter" Körperschaften, also nicht nur des Parlamentes und des Oberhauses - was bereits geschehen ist -, sondern auch der regionalen und lokalen Versammlungen
  • Keine Immunität für Hosni Mubarak. Eine eventuelle Immunitätszusage (darüber wurde schon spekuliert) soll zurückgezogen werden.
  • Alle Verantwortliche für die Gewalt und die Sabotage der Internet- und Nachrichtenverbindungen sollen vor Gericht gestellt werden, angefangen beim ehemaligen Innenminister und seinen Helfern.
  • Alle Verantwortlichen für die Öffnung der Gefängnisse für Verbrecher, um die Sicherheitslage systematisch zu verschlechtern, gehören ebenso angeklagt.
  • Eine "Wahrheitskommission" soll die Vorgänge vor und nach dem 25. Januar 2011 untersuchen, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und zur Anklage zu bringen.
  • Insbesondere die organisierten Angriffe auf die friedlichen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz am 2.und 3. Februar sollen untersucht werden.
  • Der ehemalige Informationsminister muss sich für seine Desinformationskampagne und Hetze gegen Ausländer verantworten. Alle Herausgeber und Chefredakteure der staatseigenen Zeitungen gehören entlassen.
  • Ende der Verfolgung und Bespitzelung aller politischer Aktivisten
  • Auflösung des Staatssicherheitsdienstes
  • Bestellung einer zivilen Person zur Beaufsichtung des Innenministeriums
  • Völlige Entflechtung von Polizei und Staatsanwaltschaft
  • Sofortige Aufhebung des Ausnahmezustandes, der Folter und andere schwerste Menschenrechtsverletzungen begünstigt hat
  • Streichung, nicht Neufassung des Artikel 179 aus der Verfassung (Dieser erlaubt die Suspendierung elementarer Menschenrechte und die Überstellung an Standgerichte bei Terrorismusverdacht.)
  • Freilassung aller politischen Gefangenen
Darüber hinaus formuliert das Forum sehr klare Anforderungen an eine zukünftige Verfassung, aber dazu vielleicht mehr in einen gesonderten Artikel zu Verfassungsfragen.

Die vollständige "Roadmap" findet sich hier: http://eipr.org/en/pressrelease/2011/02/12/1097

Dem "Forum der unabhängigen Menrechtsorganisationen" gehören an:
• Cairo Institute for Human Rights Studies
• Andalus Institute for Tolerance and Anti-Violence Studies
• Arab Network for Human Rights Information
• Association for Freedom of Thought and Expression
• Center for Egyptian Woman's Legal Assistance
• Hesham Mubarak Law Center
• Misryon Against Religious Discrimination
• New Woman Research Center
• The Arab Penal Reform Organization
• The Egyptian Association for Community Participation Enhancement
• The Egyptian Center for Economic and Social Rights
• The Egyptian Initiative for Personal Rights
• The Human Rights Association for the Assistance for the Prisoners