15. Juni 2012

Zum Massaker von Hula

Es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass das Massaker von Hula nicht von den Regierungstruppen verübt wurde, sondern von sunnitischen Extremisten unter dem Schutz einer Einheit der FSA. Aussagen von Bewohnern der Gegend, die das Regime verantwortlich gemacht haben, sollen von Billigern bzw. Beteiligten des Massakers sein. Danach ist im wesentlichen ein alawitischer Clan ausgelöscht worden, weil er sich weigerte, der Opposition anzuschließen. Ob diese Version nun die richtige ist, lässt sich auch nicht mit Gewissheit sagen. Aber sie scheint mir nicht komplett unglaubwürdig. Wesentliche Quelle für diese Version ist die einer Assad-Unterstützung gänzlich unverdächtige FAZ: http://www.faz.net/aktuell/politik/arabische-welt/syrien-eine-ausloeschung-11784434.html

Es gibt also Zweifel an der allgemeinen Darstellung. Dass die meisten Medien das Regime für verantwortlich hielt, war u. a. der Reflex darauf, dass das Regime stereotyp "Al-Qaida" als Täter genannt hat. Was Schwachsinn ist. Dazu kommt die Tatsache, dass dem Regime ein solches Massaker zuzutrauen ist, da seine bisherigen Handlungen einem Krieg gegen das Volk gleichkommt, wie unlängst erst wieder ein Bericht von Amnesty International festgestellt hat: http://www.amnestyusa.org/research/reports/deadly-reprisals-deliberate-killings-and-other-abuses-by-syria-s-armed-forces

Nichtsdestotrotz mehren sich die Meldungen von Kriegsverbrechen, die von Regimegegner begangen werden. Auch Akte sektiererischer Gewalt sollen zunehmen. Es ist aber nicht "die" Opposition als Ganzes, die dessen verdächtig ist. Weiterhin gibt es in zahlreichen Städten und Orten lokale Gruppen, die alle Religionsgruppen in sich vereinen und die - unfassbar, aber wahr - weiterhin im wesentlichen auf gewaltfreie oder rein defensive Aktionen setzen. Daneben gibt es Einheiten, die sich unter dem Schirm der FSA versammeln. Wobei die FSA weiterhin keine einheitlichen Kommandostrukturen besitzt, sondern fast jede Einheit autonom agiert; von gelegentliche Absprachen mit Nachbareinheiten mal abgesehen. Daneben haben sich Milizen gebildet, die völlig unabhängig agieren. Einige von diesen sind sunnitische Extremisten, teilweise finanziert durch Saudi-Arabien und Qatar. Wie die Kräfteverhältnisse zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen der Opposition aussehen, lässt sich kaum beurteilen. Aber die Bewaffneten haben wohl in letzter Zeit an Einfluss gewonnen, dabei hat sicher die fortwährenden Gewalt des Regimes die Hauptrolle gespielt.

Und das Regime hat von Anfang an bewusst die Spannungen zwischen den Religionsgruppen geschürt. Es hat den Aufstand als sunnitischen Terrorismus dargestellt, um die anderen Religionsgruppen an sich zu binden. Insbesondere den Alawiten (der Assad-Clan ist bekanntermaßen alawitisch) wurde eingeredet, eine Machtübernahme der sunnitischen Mehrheit würde zu landesweiten Pogromen gegen sie führen. Das Massaker von Hula könnte also zum Teil eine selbsterfüllenden Prophezeiung des Regime sein. Das entbindet niemanden von der persönlichen Verantwortung für dieses Massaker - wer immer es nun angerichtet hat. Aber die Verhältnisse, die zu solchen Pogromen führen, hat das Regime bewusst in Kauf genommen und geschürt, um an der Macht zu bleiben. Dazu kamen z. B. mit Parolen wie "Es gibt keinen Gott außer Bashar" bewusste Provokationen der Sunniten. Auch wurden sunnitische Moscheen beschossen und zerstört.

Wird der Bürgerkrieg in Syrien also (auch) zu einem Krieg der Konfessionen? Wird aus Syrien ein zweites Irak, in dem es in den Städten keine "gemischten" Viertel mehr gibt? Es gibt Unterschiede zur Situation im Irak. Es gibt keine Besatzungsmacht. Der Wunsch nach einem Sturz des Assad-Regimes kam von Innen. Mit den lokalen Komitees vor Ort gibt es so etwas wie den Ansatz einer Zivilgesellschaft, auch wenn die wesentlich religiöser geprägt ist als wir uns das wünschen würden. Doch je länger der Bürgerkrieg dauert, desto einflussreicher werden die bewaffneten Gruppen werden. Aber auch diese sind nicht einer einheitlichen politischen Richtung zuzuordnen. Zur Erinnerung: Die ersten Einheiten der FSA waren einfach Soldaten, die nicht auf das Volk schießen wollten und im wesentlichen sich selbst verteidigt haben und dann langsam dazu übergingen, z. B. Demonstrationen zu schützen. Auch der Übergang zu den offensiven Operationen war fließend. Inwieweit Einheiten der FSA mit bewaffneten sunnitischen Extremisten kooperieren und inwieweit sie deren Ziele teilen oder für die Zeit des Kampfes gegen das Regime in Kauf nehmen, lässt sich schwer sagen. Irgendeine Diskussion darüber findet nicht statt. Zu sehr scheint man im Kampf gegen das Regime (zwangs-)verbündet zu sein. Auch von den Lokalen Koordinationskomittes (http://www.lccsyria.org) wird die sektiererische Gewalt nicht angesprochen. Der Druck, unter dem die Opposition angesichts des Vorgehens des Regime steht, scheint zu groß zu sein, um eine solche Diskussion ernsthaft zu eröffnen. Das ist angesichts der Situation in Syrien verständlich, könnte sich aber als tödlich für die Ziele der syrischen Aufständischen erweisen.