27. März 2011

Syrien: Das Regime setzt weiter auf Brutalität

Nach den landesweiten Demonstrationen am Freitag ging das Regime auch gestern und heute gegen die Opposition mit aller Brutalität vor. Mehrere Städte sind vom Militär abgeriegelt. Journalisten werden behindert oder gleich ausgewiesen mit der Begründung, sie hätten "falsch und unprofessionell" berichtet. Und auch gestern und heute ist es zu Schüssen auf Demonstranten gekommen. Dutzende Verletzte und Tote waren die Folge. Vielerorts halten die Behörden die Leichen der Getöteten zurück, um die Tatsache zu verschleiern, dass sie durch Schüsse umkamen. Es gibt auch Berichte, dass Menschen von Schergen des Regimes totgeschlagen oder erstochen wurden.

Sanamein ist eine der Städte, die abgesperrt ist. Hier ist es am Freitag zu mindestens zehn Toten gekommen. Als ein Team von Al Jazeera, welches die Militärposten umgehen konnte, in der Stadt eintraf, sah es sich mit "sehr, sehr wütenden Bewohnern" konfrontiert, die darauf brannten, der Welt zu erzählen, dass friedliche Demonstranten von Sicherheitskräften ohne Grund erschossen worden sind. Sie verlangen nun nichts weiter als den Sturz des Regimes und die Bestrafung der Verantwortlichen. In Daraa, das weiter im kompletten Aufruhr ist, kam es gestern erneut zu Toten. Das Büro der Baath-Partei soll abgebrannt worden sein und auch von Angriffen auf andere staatliche Einrichtungen ist die Rede. Vereinzelt gab es auch aus vielen anderen Städten Meldungen über Demonstrationen, Zusammenstöße, Schüsse, Verhaftungen und Tote. Aber zur Zeit lässt sich kaum etwas bestätigen.

Sicher ist, dass am Sonnabend in Latakia Scharfschützen auf Demonstranten geschossen haben. Und zwar auch auf Demonstranten, die für die Regierung waren. Auch sollen Autos durch die Stadt gefahren sein, die wahllos auf Passanten geschossen haben. Hier scheinen regierungsnahe Banden einfach nur Terror zu verbreiten. Mindestens 12 Tote sind zu beklagen. Latakia ist einer der wenigen Städte Syriens, in deren Großraum die Alawiten die Mehrheit stellen. Der Assad-Clan ist alawitisch im Gegensatz zur sunnitischen Mehrheit Syriens.

Das Regime macht immer noch "das Ausland" für die Unruhen verantwortlich. Mal ist von Israel die Rede, dann von Palästinensern, "Islamisten" und auch den USA. Ein US-Ägypter, der die Demonstrationen in Damaskus gefilmt hat, wurde festgenommen und ist nun wegen "Spionage für Israel" angeklagt. Und die Scharfschützen, die in Latakia auftraten, seien von der Opposition gewesen, so Regierungssprecher.

Gleichzeitig wurde die Freilassung von 260 politischen Gefangenen verkündet. Eine Bestätigung dafür, dass dies geschehen ist, gibt es nicht. Auch für die erneut angekündigte Aufhebung des Ausnahmezustandes wurde noch kein Datum genannt. Alles bleibt im Ungewissen, das Regime lässt sich nicht auf echte Zugeständnisse ein. Nur die brutale Repression, die ist ganz konkret.

Ägypten: Nach dem Verfassungsreferendum

Die Verfassungsänderungen in Ägypten wurden letzten Sonnabend mit 77% der abgegebenen Stimmen angenommen. Die Wahlbeteiligung lag bei 40%, was für Ägypten recht hoch ist. Bei den letzten Parlamentswahlen lag sie bei 23%. Die Zustimmung kam nicht überraschend, aber in der Höhe schon. Ausschlaggebend für die Zustimmung war, dass die stärksten politischen Lager für ein "Ja" warben, wenn auch aus teilweise unterschiedlichen Gründen.

Der Moslembrüderschaft (MB) ging es u. a. um einen Artikel, der gar nicht zur Abstimmung stand: den Artikel 2 der Verfassung. Er legt fest, dass in Ägypten der Islam die Staatsreligion ist und die Sharia die Quelle der Gesetzgebung. Bei einem "Nein" zu den Änderungen wäre eine völlig neue Verfassung ins Spiel gekommen und damit auch eine mögliche Revision des Artikel 2. Einige demokratische Kräfte hatten für diesen Fall den Vorschlag gemacht, dass keine Staatsreligion benannt wird und als Quelle der Gesetzgebung "die Werte der verschiedenen Religionen Ägyptens und die allgemeinen Menschenrechte" benannt werden. Beim jetzigen Stand bleiben die 10% Christen und die säkularen Kräfte Ägyptens außen vor. Darüber hinaus passte eine Zustimmung zu den Verfassungsänderungen der MB in ihre Strategie, weil so schnelle Parlamentswahlen garantiert sind. Denn die MB ist gut organisiert, während sich die demokratisch-säkularen Kräfte sich erst noch in Parteien organisieren müssen.

Diesen Organisationsvorsprung wollen sicher auch die alten Kräfte der NDP nutzen. Das Schicksal der NDP ist zwar noch nicht entschieden - entweder bleibt sie bestehen oder es wird eine Nachfolgepartei geben oder viele der einflussreichen Mitglieder (hier v. a. reiche Geschäftsleute) werden als "unabhängige" Kandidaten antreten -, aber die Seilschaften sind natürlich noch vorhanden und haben zudem viel Geld. Die Zustimmung zu den Änderungen hat auch den revolutionären Elan gebremst, was auch im Interesse der alten Mubarak-Leute war und ist.

Die Armeeführung war für das "Ja", weil es ihr Plan war. Für sie steht "Sicherheit und Ordnung" an oberster Stelle. Ein "Nein" hätte weitere Diskussion und vermehrte politische Auseinandersetzungen bedeutet. Und natürlich wird die Militärführung zum Großteil von den alten Kräften gestellt, so dass deren Interessen mit denen der NDP-Seilschaften sehr häufig identisch sind.

Bei vielen Ägyptern griff die Behauptung, das "Ja" sei der Weg zu Sicherheit, Ordnung, Stabilität und Stärkung der Wirtschaft. Vielen gingen wohl die sozialen Belange vor einer weiteren Entwicklung der Demokratie. Dass eine Stärkung der demokratischen Rechte auch ein Mehr an Möglichkeiten des Kampfes für soziale Rechte bedeutet, ist von den demokratischen Kräften nicht ausreichend klar gemacht worden. Dafür war die Zeit zu kurz und auch die (finanziellen) Mittel der Gegenseite zu stark. Und für manche "Revolutionäre" ist die soziale Frage auch nicht von Belang, da sie gute Jobs haben.

Die konservativen Kräfte, die ein "System Mubarak" ohne Mubarak wollen, fühlen sich jedenfalls durch das Ergebnis bestärkt. So liegt jetzt ein Gesetzentwurf des Kabinetts beim Armeerat zur Zustimmung vor, nach dem Proteste und Streiks bei Starfandrohung verboten sind, wenn diese staatliche Institutionen in der Ausübung ihrer Tätigkeiten behindern. Auch der Aufruf zu solchen Protesten und Streiks ist strafbar. Bei Gewaltanwendung zum Schaden der "nationalen Einheit" oder des "sozialen Friedens" oder der "öffentlichen Ordnung" drohen sogar Haftstrafen. Übrigens: Die letzten Anklagen gegen "Unruhestifter" wurden wie noch unter Mubarak vor den Militärgerichten verhandelt. Bei diesen Verfahren sind u. a. keine Verteidiger zugelassen. Die Prozesse gegen die alten Funktionsträger, gegen die ein Verfahren eröffnet wurde, finden dagegen vor ordentlichen Zivilgerichten statt. Und sie ziehen sich.