28. Februar 2011

Libyen: Aus Spitzenfunktionären werden "Oppositionelle"

Dass zahlreiche Spitzenfunktionäre des Regimes die Seiten gewechselt haben - mit Ahmed Gadhaf al-Dam sogar ein Cousin Gaddafis -, veranlasst Mitarbeiter der Website der Libyschen Jugendbewegung des 17. Februars zu folgenden Worten.

"Natürlich, jede Opposition gegen Gaddafi ist eine Hilfe für das Volk; die Verurteilung seiner Brutalität durch (seine eigenen, d. Ü.) Diplomaten hat die Aufmerksamkeit der Welt auf diese Grausamkeiten gelenkt. Trotzdem bleiben viele misstrauisch gegenüber diesen Wendhälsen. Die Tatsache, dass diese Männer bis vor kurzem noch zu Gaddafi standen, drängt die Frage auf: Meinen sie es ernst? Für einige ist es schwer zu glauben, dass Mesmari (zuletzt Protokollchef bei Gaddafi, d. Ü.), lange Jahre als rechte Hand Gaddafis bekannt, plötzlich zu seinem Gegner wurde.

Die Stellungnahmen anderer 'Fahnenflüchtiger' machen die Leute ebenfalls misstrauisch. Der Botschafter in den USA, Aujali, sagte: 'Ich unterstütze die Regierung nicht dabei, ihr Volk zu töten…Ich gebe nicht das Amt der Gaddafi-Regierung auf, sondern ich schließe mich dem Volk an.' Einige sahen in Aujalis Worten die unbewusste Angst, dass ihn Gaddafi als Feind brandmarken würde.

Die Glaubwürdigkeit dieser Funktionäre des Diktators bleibt für das libysche Volk eine wichtige Frage. Tun sie es um des Volkes willen? Die Erfahrung von 42 Jahren spricht gegen diese Annahme. Versuchen sie nur, jeder für sich, ihre eigene Haut zu retten? Nach all dem ist es leicht, das sinkende Schiff zu verlassen. Wie es auch immer bei jedem einzelnen sein mag, sie begeben sich in gefährliches Fahrwasser.

Je mehr sich von Gaddafi abwenden - unabhängig von ihren Motiven -, desto größer ist die Chance des Volkes, die Macht zu übernehmen. Gleichwohl ist es zweifelhaft, dass das libysche Volk die Vergangenheit vergisst, und die, die ihm Unrecht getan haben, sollten vorsichtig handeln, wenn der Diktator fällt."

27. Februar 2011

Libyen: Nationaler Libyscher Rat in Benghazi gebildet

In Benghazi hat sich ein "Nationaler Libyscher Rat" gebildet. Ziel des Rates sei es, "der Revolution ein Gesicht zu geben", sagte Hafiz Ghoga, der Sprecher des Rates. Er betonte, beim dem Rat handele es sich nicht um eine Übergangsregierung. "Wir werden den anderen libyschen Städten, insbesondere Trioplis, helfen sich zu befreien." Jede Stadt hat fünf Vertreter in dem Rat. Sobald eine Stadt sich befreit hat, kontaktiert sie der Rat, damit diese sich am Rat beteiligt.

Vorsitzender des Rates ist Mustafa Mohamed Abdel Jalil, der ehemalige Justizminister. Er ist nicht unumstritten, da er bis vor kurzem dem Regime angehörte. Man will seine Kontakte nach Tripolis und den anderen Städten im Westen nutzen, um die Befreiung voranzutreiben. Viele sehen ihn als Übergangsfigur. Ob diese Rechnung aufgeht, wird sich zeigen. Tunesien und Ägypten müssen sich auch noch mit den alten Kräften auseinandersetzen. Das wird auch nach dem Ende des Gaddafi-Clans in Libyen so sein.

Libyen: Bestechungsversuche und Offensiven des Regimes

Gestern haben Abordnungen des Gaddafi-Regimes versucht, sich weitere Unterstützung im Land zu erkaufen. In Az Zawiyah und Misratah soll einflussreichen Personen und Gruppen Milliarden angeboten worden sein, damit sie sich gegen das Volk wenden und das Regime verteidigen. In beiden Städten ist dieser Bestechungversuch barsch zurückgewiesen worden. Der Zeitpunkt für Verhandlungen sei längst vorüber. In Misratah soll man der Abordnung auf den Weg gegeben haben, dass sie ohne Vorwarnung beschossen würde, sollte sie nochmal auftauchen. In Kufra hat ein Armeegeneral, der noch zum Regime hält, mit ebenfalls viel Geld versucht, Kämpfer anzuwerben. Ergebnis: Kufra hat sich dem Aufstand gegen das Regime angeschlossen!

Gestern und heute wurden wieder Az Zawiyah und Misratah angegriffen. In Misratah wurde gestern sogar die Trauerfeier für die Gefallenen vom Vortag beschossen. Beide Stadtzentren halten sich. Auch gibt es jeweils Berichte, dass die Aufständischen weitere Waffen, darunter auch Panzer und Luftabwehrgeschütze, erhalten haben. Das Regime hat seinerseits die Kräfte um die beiden Städte verstärkt, ebenfalls u.a. mit Panzern.

In Az Zawiyah ereignete sich ein Vorfall, der Zweifel an der Kommunikation zwischen den Einheiten des Regimes aufkommen lässt. Eine Gruppe internationaler Journalisten wurde von Tripolis nach Az Zawiyah gefahren, um ihnen zu zeigen, dass dort alles "normal" ist. Nur ist eben das Zentrum der Stadt in den Händen der Regimegegner. So konnten die Journalisten Barrikaden sehen, auf denen die Flagge des freien Libyens wehte, und hören was die Bewohner von Az Zawiyah wünschen. Es wurden Sprechchöre gerufen: "Nieder mit dem Regime!"

Das libysche Regime hat etwas geschafft, was noch niemanden gelungen ist: Erstmals hat der UN-Sicherheitsrat die Vorgänge in einem Land einstimmig(!) dem Internationalen Strafgerichtshof zur Untersuchung übergeben. Alle Ereignisse seit dem 15. Februar sollen auf mögliche Verbrechen hin untersucht werden. Darüber hinaus wurde ein Waffenembargo verhängt, die Sperrung der Auslandskonten des Gaddafi-Clans beschlossen und ein Reiseverbot für fünfzehn Funktionäre des Regimes erlassen. Die Resolution im vollen Wortlaut (englisch)

Libyen: Video von den Kämpfen in Benghazi vor der Befreiung

In Benghazi ist seit gestern Abend das Internet wieder fast normal verfügbar. Seitdem werden immer mehr Videos hochgeladen. Eines der eindruckvollsten ist dieses hier. Es zeigt, wie die Aufständischen nur mit Steinen gegen bewaffnete Kräfte des Regimes vorgehen. Das Datum ist unklar. Mutmaßlich vor dem 21. Februar.

26. Februar 2011

Libyen: Die akuten Forderungen der Aufständischen

Was soll die Welt gegen das Gaddafi-Regime tun? Die Stimmen, die uns erreichen, sind recht eindeutig: Eine Intervention im Sinne eines Einsatzes von Bodentruppen wird einheitlich abgelehnt. Gefordert wird aber häufig die Einrichtung einer Flugverbotszone für ganz Libyen, damit das Regime sein Volk nicht bombardieren kann und sich Aufständische sammeln können. Zudem wird gefordert, alle Finanzquellen des Regimes zu blockieren und das Vermögen des Gadaddfi-Clans zu beschlagnahmen. Der Einwand, Sanktionen würden nur das Volk treffen, wird meist zurückgewiesen. Das Volk würde schon unsäglich leiden, schlimmer könne es angesichts der Massaker nicht werden.

Besonders bitter wird der fehlende humanitäre Einsatz der westlichen Staaten bemerkt. Während aus Ägypten Konvois mit medizinischen und anderen dringend benötigten Gütern über den langen Landweg bis nach Benghazi gelangen, kümmern sich die westlichen Staaten nur darum, ihre Staatsbürger zu evakuieren. Das ist sicherlich ein legitimes Anliegen. Aber eine Äußerung auf Twitter zeigt, was in Libyen mehr als übel aufstößt: "Während die HMS York nun schon zum zweiten Mal in Benghazi anlegt, haben sie den Libyern nicht mal mit einem Aspirin geholfen."

Libyen: Die Rolle von Satellitenkommunikation

Sowohl das Mubarak- als auch das Gaddafi-Regime haben von einer "Verschwörung" gesprochen, an der Qatar beteiligt sei. Grund dafür ist, dass Al Jazeera in Qatar beheimatet ist. Von der US-Regierung in der Vergangenheit auch schon mal als "Terroristensender" bezeichnet, hat sich Al Jazeera zum wichtigsten unabhängigen Sender des arabischen Raumes entwickelt. Er genießt im Gegensatz zu den westlichen Medien das Vertrauen der arabischen Bevölkerung. Natürlich wird Al Jazeera in Libyen nicht über Kabel oder Antenne ausgestrahlt, sondern ist ausschließlich über Satelliten zu empfangen. Seit Beginn der Unruhen versucht das Regime, die Ausstrahlung zu stören. Der Sender wechselt daher häufig seine Frequenzen.

Libyen ist etwa fünfmal so groß wie Deutschland. Große Flächen sind unbewohnbar. Deshalb sind Satellitentelefone sehr verbreitet. Auch Internetzugriff per Satellit ist möglich. Der größte Anbieter ist Thuraya. Seit Beginn des Aufstandes ist auch Thuraya von Störangriffen betroffen. Nach Angaben eines Firmenvertreters sei es den Technikern aber gelungen für etwa 70% der Fläche Libyens den Empfang wieder herzustellen.

Libyen: Terror gegen Freitagsdemonstrationen in Tripolis

Die Bewohner der libyschen Hauptstadt Tripolis nutzten die Freitagsgebete, um sich zu neuen Demonstrationen gegen das Gaddafiregime zu versammeln. Offensichtlich waren allen Prediger Anweisungen gegeben worden, was sie zu predigen hatten: Der Koran verbiete die Rebellion gegen den jeweiligen Herrscher und wer sich gegen ihn auflehne, würde als Ungläubiger sterben. Viele verließen angesichts solcher Worte vorzeitig die Gottesdienste. Eine Übertragung des Staatsfernsehens aus einer Moschee wurde abgebrochen, als die Gläubigen Sprechchöre gegen das Regime riefen.

Anschließend gingen Zehntausende auf die Straße. Und erneut griff das Regime die unbewaffnete Demonstranten sofort an. Nicht mit Tränengas, Wasserwerfern oder Schlagstöcken, nein, es wurde wieder sofort mit scharfer Munition geschossen; und zwar mit der klaren Absicht, zu töten. Genaue Opferzahlen können angesichts der vom Regime gekappten Nachrichtenwege nicht genannt werden. Es werden aber sicher Dutzende gewesen sein. Einerseits sicherten Eliteeinheiten den Zugang zum Grünen Platz ab, der das Ziel vieler Demonstranten war. Andererseits fuhren Sölnder und andere Bewaffnete mit Jeeps durch die Stadt, um Gruppen von Demonstranten aufzuspüren und möglichst viele zu töten. Es sollen auch Krankenwagen unterwegs gewesen sein, mit denen sich die Mörder des Regimes heimtückisch den Menschen näherten, um dann plötzlich hervorzuspringen und auf sie zu schießen. Angesichts der Verluste und der Aussichtslosigkeit des Unterfangens, sich auf dem Grünen Platz oder anderenorts zentral zu versammeln, zogen sich die Demonstranten zurück.

Ebensfalls gestern ist die Stadt Az Zawiya erneut angegriffen worden. Den Kräften des Regime ist es aber nicht gelungen, in die Stadt einzudringen. Allerdings sollen sie sich in den Außenbezirken der Stadt festgesetzt haben und die Zufahrten kontrollieren. Ein weiterer Angriff richtete sich gegen den Flughafen von Misratah. Mit Hilfe eines Panzerverbandes soll es den Angreifern gelungen sein, Teile des Flughafens zurückzuerobern.

Bei einem weiteren Auftritt Gaddafis im Fernsehen drohte dieser erneut unverhohlen mit extremer Gewaltanwendung. Man werde eher Libyen in Flammen setzen als aufgeben. Später kündigte sein Sohn Saif an, man sei zu "Verhandlungen über einen Waffenstillstand" bereit. Was damit gemeint sein könnte, deuten Gerüchte an, dass das Gaddafiregime versuche, einflussreiche Gruppen in den Städten Az Zawiyah und Misaratah mit Milliardensummen zu bestechen.

25. Februar 2011

Ägypten: Der alte Geist des Mubarakregimes lebt und ist tödlich

In Maadi, einem Stadtteil von Cairo ist gestern der Fahrer eines Minibusses von einem Polizisten erschossen worden. Minibusse werden als Sammeltaxis genutzt und sind Teil des öffentlichen Nahverkehrs in Cairo. Es gab einen Streit, in dem der Polizist den Fahrer des Minibusses wie Dreck behandelt hat. "Diese Zeiten sind vorbei," protestierte der Fahrer des Minibusses gegen das Verhalten des Polizisten. "Ich werde es dir zeigen", soll der Polzist laut Augenzeugen geanwortet und ihn dann erschossen haben. Sofort hat ihn eine Menschenmenge ihn bedrängt und wollte ihn lynchen. Soldaten, die in der Nähe waren, haben ihn dann gerettet. Der Vater des Polizisten ist ein Polizeigeneral.

Für heute sind ohnehin Proteste auf dem Tahrir-Platz geplant. Zwar ist das Kabinett vor ein paar Tagen umgebildet wurden und nun ist auch die Opposition beteiligt. Aber die Schlüsselressorts wie Außen-, Finanz- und eben das Innenminsiterium sind weiterhin mit den Leuten besetzt, die Mubarak noch eingesetzt hat. Zudem ist der Premierminister immer noch Ahmed Shafiq, ebenfalls von Mubarak dazu bestimmt worden.

24. Februar 2011

Libyen: Das Gaddafi-Regime versucht eine Offensive

Das Gaddafi-Regime scheint zu begreifen, dass seine Tage gezählt sind, wenn es sich nur in Tripolis verschanzt. So ging es heute in die militärische Offensive. Ein Angriff traf den Flughafen von Misratah. Die Aufständischen schlugen die Regimetruppen zurück, u.a. weil sie ein Luftabwehrgeschütz erobern und gegen die Angreifer einsetzen konnten. Mindestens zwei Tote sind zu beklagen. Trotz des Sieges haben die Menschen in Misratah Angst von zwei Seiten angegriffen zu werden. Vom Westen aus Tripolis und vom Osten aus Surt, einer der wenigen Städte, die noch vom Regime kontrolliert werden. Gaddafi stammt aus der Gegend von Surt und wird entsprechend Wohltaten verteilt haben.

Der schlimmste Vorfall fand in der Stadt Az Zawiya statt. Der Angriff zielte auf eine Versammlung von Demonstranten an und in der Souq-Moschee, die an einen zentralen Platz der Stadt liegt. Es wurde erneut u.a. mit Luftabwehrmunition geschossen. Dabei wurde auch die Moschee beschädigt. Die Aufständischen, teilweise mit Jagdgewehren bewaffnet, konnten die Angreifer zurückschlagen. Es wurden mindestens sechszehn Menschen getötet. Später versammelten sich 30.000 Menschen im Zentrum der Stadt.

Das Staatsfernsehen hatte angekündigt, Gaddafi würde zu den Menschen in Az Zawiya sprechen. Das konnte er aber eben nicht vor Ort und so griff er zum Telefon. In einer Ansprache, die selbst dem Moderator des Fernsehens peinlich war - er saß mit versteinerter Miene da -, beschuldigte der "Führer Afrikas und der Welt" Al Qaida hinter den Unruhen zu stecken. Sie hätten Jugendliche mit Drogen vollgepumpt und ihnen Waffen gegeben. Nach der Rede gab das Fernsehen des Regimes bekannt, man hätte Tonaufzeichnungen von Al Quaida-Mitgliedern in Az Zawiya gefunden, die geplante Sabotageaktionen zum Inhalt hätten. - Will das Regime eine "Al Qaida-Kampagne" inszenieren, um die Menschen wieder auf ihre Seite zu ziehen? Das war eine Befürchtung, die geäußert wurde.

Soweit man das überhaupt beurteilen kann, scheinen die Angriffe von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen zu sein. Entweder hatten die Kräfte des Regimes sich verschätzt oder es sollten nur Entlastungsangriffe sein, um den Druck von Tripolis zu nehmen. Aber vielleicht ist das Gaddafi-Regime gar nicht mehr zu ernsthaften Offensiven fähig. Die Hoffnung ist, dass das der Fall ist.

Arab Dictator Speech Bingo

23. Februar 2011

Libyen: Dem Gaddafi-Regime bleibt fast nur noch Tripolis

Die deutschen Medien vermelden, der Osten Libyens sei unter Kontrolle der Aufständischen. Das scheint untertrieben, auch im Westen ist schon eine Stadt nach der anderen der Kontrolle des Gaddafi-Regimes entzogen worden. Exil-Libyer haben ihre Informationen zusammengetragen und diese Karte erstellt.
Zuwarah, an der westlichen Küste nahe der Grenze zu Tunesien, hier noch mit "?" versehen, scheint nun auch unter der Kontrolle der Aufständischen zu stehen.
Die Grenze zu Ägypten wird von den Aufständischen kontrolliert. Hier sind seit Montag Hilftransporte, Ärzte und Journalisten nach Libyen eingereist. Der Vize-Außenminister des Regimes drohte Journalisten, die ohne Genehmigung der Beörden einreisen, als "Outlaws" zu behandeln. Gleichzeitig fliehen über diese Grenze Tausende Ägypter, die in Libyen gearbeitet haben, in ihr Heimatland. Die Grenze zu Tunesien wird noch von regimetreuen Truppen kontrolliert. Fliehende Tiunesier berichten, dass sie von Bewaffneten des Regimes schikaniert und auch ausgeraubt werden.

Am Dienstag sind Pilot und Copilot eines Kampfjets, die den Befehl hatten, Benghazi zu bombardieren, desertiert. Sie sind per Schleudersitz "ausgestiegen" und haben das Flugzeug abstürzen lassen. Die Berichte und Indizien, dass Soldaten, die sich weigerten, auf Demonstranten zu schießen, hingerichtet wurden, mehren sich.

In Tripolis bleiben weiterhin viele zuhause, nur wenige gehen zur Arbeit. Die meisten Läden sind geschlossen, es bestehen Versorgungsengpässe, so gibt es lange Schlangen an den wenigen Bäckereien, die offen haben. Zudem scheint es eine unausgesprochene Ausgangssperre zu geben. Nach Einbruch der Dunkelheit schießen die bewaffneten Kräfte des Regimes ohne Vorwarnung auf Menschen, die sich auf die Straße trauen.

In Benghazi werden die Waffen, die während der Kämpfe von den Aufständischen erbeutet worden, von den neu gebildeten Bürgerkomitees wieder eingesammelt.  Diese Bürgerkomittes organisieren auch die zivlile Verwaltung der Stadt. Einer Anweisung aus Tripolis, den Strom abzustellen, kamen die örtlichen Stellen natürlich nicht nach. Es wird berichtet, dass die Stromversorgung in Benghazi zur Zeit besser als je zuvor sei. Zudem gab es eine große Kundgebung zur Unterstützung der Bevölkerung in Tripolis: "Wir sind ein Land und Tripolis ist unsere Hauptstadt!" war eine der Parolen. Dies wohl als Antwort auf die Vorwürfe von Regimevertretern, der Osten Libyens wolle sich abspalten.

22. Februar 2011

Libyen: Gaddafi-Regime droht mit weiterer Gewalt

Die politische Isolierung schreitet voran

In einer 75-minütigen, wirren Rede hat Gaddafi einen Rücktritt abgelehnt und der Opposition mit weiterer Gewalt gedroht. Er bezeichnete die Aufständischen als "Ratten" und "Drogenabhängige", die ein islamisches Emirat errichten wollten. An anderer Stelle fragte er seine Gegner, ob sie das Land den USA übergeben wollten. Er drohte mit der Todesstrafe und damit, dass man Libyen "säubern" würde. Ab Mittwoch würden alle, "die Gaddafi lieben", auf die Straße gehen und sie zurückerobern. Explizit erwähnte er die "chinesische Lösung" als Vorbild: "Die Einheit Chinas war wichtiger als die Wenigen auf dem Tiananmen-Platz."

Das diplomatische Corps Libyens desertiert im Stundentakt (u.a. die Botschafter in Tunesien, Indien, Indonesien und den USA). Die Arabische Liga hat beschlossen, Libyen von allen Treffen der Liga auszuschließen. Zuletzt hat der Innenminister Abdul Fatah Younis seinen Rücktritt bekanntgegeben. Er ist auch Generalmajor de Armee und hat die Armee dazu aufgerufen, die Revolution zu unterstützen.

Der einflussreiche islamische Geistliche Yusuf Al-Qaradawy hat in einer Fatwa die Tötung von Gaddafi gebilligt: "Wer auf Gaddafi schießen kann, sollte dies tun."

In Tripolis herrschte heute angespannte Ruhe. Die Söldner und andere bewaffnete Kräfte patrouillierten in den Straßen. Viele blieben zuhause und es waren vereinzelt Schüsse zu hören.

21. Februar 2011

Libyen: Das Gaddafi-Regime führt Krieg gegen das Volk

Vorbemerkung: Die Kommunikationswege in und aus Libyen sind vom Regime, so weit es geht, gekappt worden. Das macht eine Berichterstattung noch unsicherer. Trotzdem, jetzt muss erst recht alles gesagt werden, was gesagt werden kann.

Es gab am Vormittag Massenproteste, für den Abend waren weitere angekündigt. Diese hatten den Sturz des Regimes zum Ziel. Nun hat das Regime zum Gegenschlag ausgeholt - mit einer ungeheuren Brutalität und Menschenverachtung. Die Drohung von Saif Gaddafi, Libyen würde in einem See von Blut versinken, ist wahr geworden. Begonnen hat es damit, dass Bewaffnete des Regimes systematisch die Blutkonserven der Krankenhäuser gestohlen haben. Dann wurden alle Kommunikationswege, die das Regime kontrolliert, gesperrt: Internet, Mobilfunk und auch das Telefonnetz. Der Terror brach los als Demonstranten mit Granaten beschossen wurden. Gleichzeitig fielen Söldner mit Jeeps in die Innenstadt von Tripolis ein und fingen an, auf alles zu schießen, was sich bewegte: Männer, Frauen und Kinder. Panik brach aus. Und es geschah das Unfassbare. Kampfflugzeuge tauchten am Himmel von Tripolis auf und bombardierten die Menschenmengen. Ein Bombenkrieg gegen das eigene Volk!* Das erklärte auch einen bis dahin rätselhaften Vorfall auf Malta. Dort waren zwei libysche Kampfjets gelandet. Unangekündigt und ohne Genehmigung. Sie gaben an, notlanden zu müssen, weil sie keinen Treibstoff mehr hatten. Später gaben die Piloten, zwei Colonels, der libyschen Luftwaffe zu Protokoll, ihnen sei befohlen worden, Aufständische in Benghazi zu bombardieren. Dieses hätten sie, als sie die Menschen aus geringer Höhe sahen, nicht machen wollen und sie seien deshalb desertiert.

Seit den ersten Luftangriffen werden Stadtteile von Tripolis im Abstand von 15-20 Minuten aus der Luft angegriffen.* Auch gegen Benghazi gibt es Luftangriffe. Dort sollen zwei weitere Piloten den Befehlen nicht folgegeleistet haben, sondern auf dem Flughafen von Benghazi gelandet sein. Die Stadt Misratah, 210 km östlich von Tripolis gelegen und auch in der Hand von Aufständischen, meldete ebenfalls Luftangriffe und Beschuss durch Kampfpanzer. In Tripolis terrorisieren die Söldnerbanden weiter unentwegt die Bevölkerung und auch Scharfschützen sind dabei, wahllos Menschen zu töten. Krankenwagen, die Verwunderte bergen wollen, werden ebenfalls beschossen. Es sollen sogar Ärzte in den Krankenhäusern getötet worden sein. Gerüchte besagen, das auch nicht-afrikanischen Truppen unter den Söldnerbanden sind und dass weitere aus dem Ausland eintreffen. Es scheint, als rekrutiere das Regime alle Söldner, die zur Zeit zur Verfügung stehen, um Krieg gegen das Volk zu führen.

Und warum dieser Terror? Denkt das Regime mit Gaddafi an der Spitze wirklich noch, es könnte seinen Untergang aufhalten? Seit dem Massker in Benghazi und spätestens seit den ersten Schüssen auf Unbewaffnete in Tripolis hat das Regime das ganze Volk gegen sich.

"Ich habe Libyen aufgebaut, ich kann es auch zerstören", soll Gaddafi gesagt haben. - Ich hoffe, er und sein Sohn Saif können nicht mehr rechtzeitig fliehen.

* Die Meldungen von Luftangriffen auf die Menschen in Tripolis haben sich im Nachhinein als falsch erwiesen. Sie entstanden in der Panik, die der massive Gewalteinsatz seitens des Regimes auslöste. Sie geistern auch heute noch durch die Medien. Der Einsatz von Kampfjets gegen Benghazi hingegen kann als gesichert angesehen werden. In Misratah ist der Einsatz von Militärhubschraubern bezeugt, ohne dass es aus meiner Sicht ernsthafte Zweifel daran gibt.

Libyen: Es wird eng für das Gaddafi-Regime

Vorbemerkung: Die Nachrichtenlage zu Libyen ist weiterhin schlecht. Deshalb sind immer noch alle Meldungen mit Vorsicht zu behandeln.

In Benghazi sind gestern die letzten Einheiten des Regimes überwältigt oder in die Flucht geschlagen worden. Nicht zuletzt wohl dank einer Armeebrigade, die sich auf die Seite des Volkes geschlagen hat. Der Osten Libyens scheint damit fast vollständig unter der Kontrolle der Aufständischen zu sein. Die Sieg der Aufständischen im Osten und die Berichte über das Morden des Regimes haben seit gestern Abend auch die Menschen in der Hauptstadt Tripolis auf die Straßen gebracht. Sie wollen es nun zum Ende bringen, wie es in vielen Äußerungen heißt. Unterstützung erhalten sie auch aus anderen Städten im Westen Libyens. Zudem hat das größte Berbervolk Libyens, die Warfala (ca. 1 Million Angehörige), dem Gaddafi-Regime den Krieg erklärt. Andere sind dem gefolgt, so die libyschen Tuareg (ca. 500.000).

Seitdem toben schwere Auseinandersetzungen in Tripolis. Und das Gaddafi-Regime geht mit derselben unglaublichen Härte vor wie in Benghazi. Söldner und Spezialeinheiten gehen gegen Zivilisten vor und massakrieren sie. Und auch hier gibt es Berichte wonach die Mörder des Regimes vor den Krankenhäusern nicht haltmachen, sondern ihr Massaker dort fortsetzen. Saif El Islam, ein Sohn Gaddafis hat in der Nacht eine Rede gehalten. Sie bestand aus einer Mischung aus Drohungen, Verschwörungstheorien, Versprechungen und der Ankündigung "bis zum letzten Mann und bis zur letzte Patrone" kämpfen zu wollen. Den Versprechungen glaubt aber kein Mensch mehr. Die Vorgänge in Benghazi und zuletzt in Tripolis haben das wenige Vertrauen der Menschen endgültig zerstört.

Nach einer kurzen Ruhe am Morgen sind die Auseinandersetzungen wieder aufgeflammt. Es sollen alle Polizeiwachen Tripolis zerstört worden sein und auch das Hauptregierungsgebäude. Polizei ist gar nicht mehr zu sehen. Der Einflussbereich des Regimes soll erheblich verringert worden sein. Die Stadt ist zu etwa 90% in den Händen der Aufständischen. Zudem gibt es Absetzbewegungen vom Regime. Offiziere der Sicherheitskräfte hätten geplündert, der Justizminister ist zurückgetreten und der Militärchef soll unter Hausarrest stehen, nachdem er Befehle verweigert hat.

Vor dem Abendgebet ist es nun wieder ruhiger geworden, aber für heute werden weitere Kämpfe erwartet. Die Aufständischen sollen dafür mit Verstärkungen aus anderen Gegenden rechnen können.

Letzten Meldungen zufolge "analysiert" das Weiße Haus in Washington DC die Rede von Saif Gaddafi, ob sich aus ihr "Möglichkeiten für bedeutende Reformen" ergeben. Nachdem die CIA neulich zugab, die Stimmung in Ägypten völlig falsch eingeschätzt zu haben, lässt sich in diesem Fall nur eines sagen: Spart euch die Analyse. Es gibt für das Gaddafi-Regime keinen Spielraum mehr in Libyen.

20. Februar 2011

Libyen: Es ist ein Massaker

Vorbemerkung: Die Nachrichtenlage in Libyen ist weiter schlecht. Es gibt nur staatliche Medien in Libyen. Das Internet ist weiterhin (fast) komplett down. Die Mobilfunknetze sind auch abgeschaltet. Einzig das Telefonnetz scheint noch halbwegs zu funktionieren. Die einzigen glaubwürdigen Quellen sind deshalb Anrufe von Menschen vor Ort bei Verwandten, Organisationen außerhalb Libyens oder den ausländischen Medien. Die Veröffentlichungen im Internet müssen fast vollständig den Weg übers Ausland nehmen und werden dann z.B. von Libyern im Exil ins Netz gestellt.

Die Befürchtungen sind wahrgeworden. Das Gaddafi-Regime versucht, mit brutaler Gewalt den Aufstand niederzuschlagen. Das Zentrum ist weiterhin der ärmere Osten Libyens, insbesondere Bengahzi. In der zweitgrößten Stadt Libyens haben schwere Auseinandersetzungen stattgefunden. Diese "Kämpfe" zu nennen, würde bedeuten, dass zwei in etwa gleichstarken Kräfte aufeinandertreffen. Das ist nicht so. Die bewaffneten Kräfte des Regimes haben gestern in Benghazi friedliche Demonstranten, die die Opfer des Vortages beerdigen wollten, mit Mösergranaten angegriffen. Seitdem wehren sich die Aufständischen mit Steinen und vereinzelt selbstgebauten (Benzin-)Bomben. Inwieweit erbeutete Waffen verwendet werden, ist völlig unklar. Aber die allermeisten sind bis auf Steine unbewaffnete Zivilisten. Auf Seiten des Regimes werden wohl hauptsächlich Spezialeinheiten eingesetzt. Die Berichte über den Einsatz von Söldern aus anderen afrikanischen Ländern (als Herkunftsland wird z.B. der Tshad genannt, zu dem das libysche Regime hat seit langem Verbindungen hat) sind so häufig, dass man fast von einem gesicherten Fakt ausgehen kann. Aber auch reguläre Streitkräfte scheinen gegen das Volk vorzugehen. Es wird wahllos auf Menschen geschossen. Mit Pistolen, Gewehren, Maschinengewehren und auch mit Geschützen, die für die Flugabwehr gedacht sind. Entsprechend ernsthaft sind die Verwundungen. Allein für Benghazi und nur für gestern kann von 200 Toten und unzähligen Verletzten ausgegangen werden. Die Krankenhäuser quellen über. Ärzte brechen zusammen, weil sie einfach nicht mehr können. Es fehlen vor allem Blutkonserven, weil viele Wunden eben von großkalibriger Munition stammen, die Flugzeuge abschießen kann. Es gibt auch Berichte wonach die Krankenhäuser selber Ziele der Angriffe sind.

Das Regime hat versucht, die Vorgänge zu verschweigen. Aber nun geht das nicht mehr. Die Nachrichtenagentur des Regimes, JANA, macht ein Netzwerk aus Tunesiern, Ägyptern, Sudanesen, Palästinensern, Syriern und Türken für die Vorgänge verantwortlich. Dieses Netzwerk habe zum Ziel, Libyen zu zerstören. Und im Hintergrund ziehe (wer sonst?) Israel die Fäden. Das ist gleiche Schwachsinn, den schon Mubarak und sein Folterchef Suleiman behauptet haben.

Eine Versammlung von 50 islamischen Gesitlichen aus dem Westen Libyens hat einen dramatischen Aufruf verfasst, die Gewalt zu beenden: "Wir appelieren an jeden Moslem innerhalb des Regimes und alle, die ihm helfen, sich daran zu erinnern, dass unser Schöpfer das Töten von unschuldigen Menschen verboten hat... Tötet NICHT eure Brüder und Schwestern! STOPPT das Massaker JETZT!" Erstaunlich ist daran, dass dieser Aufruf aus dem bisher weniger betroffenen Westen Libyens stammt und hier eindeutig der Verursacher der Gewalt benannt wird.

Die Stimmen der Aufständischen, die uns erreichen, sind verzweifelt. Alle beschreiben die Vorgänge als "Massaker". Sie schreien nach Hilfe und immer wieder fällt der Satz: "Warum schaut die Welt zu, wie das Regime das Volk abschlachtet?" Aus dieser Verzweiflung entspringt auch Mut, unglaublicher Mut. "Wir sind die wahren Söhne Omar el Mukhtars, wir geben nicht auf!", "Wir gehen nicht, wir können nicht gehen, wir haben jetzt kein Wahl mehr. Das Regime muss fallen!" und "Ich habe keine Angst, zu sterben, ich habe Angst, diesen Kampf zu verlieren." Das libysche Volk kämpft und es stirbt. Aber es kämpft.

19. Februar 2011

Libyen: Es ist das Schlimmste zu befürchten

Vorbemerkung: Die Nachrichtenlage zu Libyen ist ungesichert. Es sind keine unabhängigen Medienvertreter vor Ort und die Kanäle für die Opposition, Nachrichten ins Ausland zu übermitteln, sind sehr begrenzt, zudem sind auch die innerlibyschen Verbindungen zur Zeit wohl sehr beschränkt. Deshalb gibt es kaum überprüfte Fakten, aber ein Bild ist sichtbar.

Seit über 40 Jahren herrscht Gaddafi in Libyen. Trotz einer relativ kleinen Bevölkerung und großem Ölreichtum sind die Verhältnisse offensichtlich für das Volk unerträglich geworden. Gestern spitzte sich die Lage zu. Vor allem in Ostlibyen gingen wohl Zehntausende auf die Straßen. Vorher gab es von Regierungsmedien die Drohung, wer gegen das Regime protestiere, "spielt mit dem Feuer und begeht Selbstmord." Diese Drohungen waren ernst gemeint. Die unbewaffneten Demonstranten wurden angegriffen und zwar auch mit Schusswaffen. Das Regime setzt hauptsächlich "besondere Sicherheitskräfte" gegen die Demonstranten ein. Auch ist häufig von "Söldnern" die Rede, die nicht auch Libyen stammen sollen. Es gab Proteste u.a. in Benghazi, Darnah, Al-Bayda und auch in der Hauptstadt Tripolis. V.a. in Benghazi scheinen die Aufständischen großen Zulauf zu haben. So war zeitweise ein Radiosender besetzt, der auch senden konnte. Normale Polizei soll geflohen sein. Die Armee verhält sich "neutral", einzelne Gruppen sollen aber zur Opposition gewechselt sein. Allein in Benghazi ist von Dutzende an Toten die Rede. Seit heute morgen 0:15 Uhr Ortszeit ist das Internet in Libyen down, "sie haben den Stecker gezogen" erklärten Netzexperten. Die wenigen Stimmen aus Benghazi, die uns jetzt noch erreichen, schreien nach Blutspenden und Unterstützung. Befürchtungen, die libysche Regierung könnte ein Massaker durchführen, werden laut. Einzelne verzweifelte Stimmen fordern das Eingreifen der ägyptischen Armee!

17. Februar 2011

Tote in Bahrain und Libyen

Der Kampf des tunesischen und des ägyptischen Volkes für Freiheit und Gerechtigkeit inspiriert den ganzen arabischen Raum. Heute gingen in Libyen in mehreren Städten Menschen auf die Straßen, um gegen die Regierung zu protestieren. Die Staatsmacht ging rücksichtslos dagegen vor. Meldungen sprechen von insgesamt vierzehn Toten. Die Nachrichtenlage ist sehr spärlich. Aber Videos belegen offensichtlich, dass auf Demonstranten geschossen wurde. In Bahrain hat am frühen Morgen die Polizei mit aller Härte ein Protestzeltlager auf dem zentralen Platz der Hauptstadt Manama ohne Vorwarnung angegriffen. Laut Ärzten des Salmaniya Krankenhauses, in dem die allermeisten Verletzten behandelt wurden, hatten die Opfer des Angriffes klaffende Wunden, Knochenbrüche und auch Schussverletzungen. Vier Tote und hunderte Verletzte wurden gemeldet. Berichten zufolge sind Ärzte und Sanitäter von den Polizeikräften teilweise behindert worden, die Verletzten zu behandeln. Dabei schreckten die bahrainischen Polizisten auch nicht vor Gewalt zurück.

Durch Polizeigewalt verletzte Sanitäter in Bahrain

16. Februar 2011

Drei Stimmen des Islams

Die Muslimbruderschaft (MB) hat mitgeteilt, dass, sollte ihr Verbot aufgehoben werden und ein neues Parteienrecht geschaffen sein, sie eine Partei gründen werde. Allerdings würde man nicht die parlamentarische Mehrheit anstreben. Zudem hat die MB erneut betont, keinen Präsidentschaftskandiaten bei den kommenden Wahlen aufzustellen. "Dies ist eine Zeit für Konsens und Einheit", sagte ein Sprecher, da wäre ein Kandidat der MB eine Provokation. Doch bei vielen Ägyptern bleibt das Misstrauen gegenüber der MB trotz ihrer konstruktiven Rolle, die sie im Aufstand gespielt hat.

Zum ersten Mal seit 20 Jahren ist die Gamaa Islamiya ("Islamische Partie") (GI) wieder an die Öffentlichkeit getreten. GI war in den 1990er Jahren für zahlreiche Terroranschläge verantwortlich, darunter das Massaker an Touristen und Ägypter in Luxor am 17. Novermeber 1997, bei dem 62 Menschen ermordet wurden. Bei einem Treffen in einer Moschee in Assiut erklärte die Gruppe, sie sei von Anfang an am Aufstand beteiligt gewesen. Sie würde nun ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. GI habe mit niemanden eine Rechnung zu begleichen, warnte aber gleichzeitig, wer immer Mubarak nachfolge, sollte nicht das Recht der GI, zu predigen und die Sharia anzuwenden, bestreiten. Zudem betonte die GI, der Islam schütze die Kopten und garantiere deren Rechte und fügte hinzu: "Die Kopten müssen unsere Religion respektieren." (In fundamentalistischen Kreisen - zu denen GI zweifellos gehört - ist die Forderung nach "Respekt für den Islam" häufig eine verharmlosende Umschreibung für die Forderung, den Islam in seiner fundamentalistischen Ausprägung als dominierend anzuerkennen und jede Kritik an ihm zu verbieten.) Koptische Einrichtungen waren Ziele der früheren terroristischen Aktivitäten der GI. Im Jahre 2003 hat sich die GI offiziell vom Terrorismus losgesagt. Einzelnen Gruppierungen in der GI wird aber nachgesagt, noch heute ein Teil von Al-Qaida zu sein.

Ahmed al-Tayyeb, Leiter ("Großer Sheih") der Al-Azhar, hat die Regierung aufgefordert, den Posten des "Großen Sheih" zukünftig nicht per Ernennung, sondern durch Wahl zu besetzen. Auch solle die gewählte Person das Amt nicht bis zu ihrem Lebensende ausüben, sondern für einen begrenzten Zeitraum. Die Al-Azhar gilt als die angesehenste islamische Lehreinrichtung der sunnistischen Moslems. Ihr Einfluss reicht weit über Ägypten hinaus. Tausende Ausländer studieren hier, weil die Lehrmeinung der Al-Azhar den meisten Sunniten als Richtschnur oder gar verbindlich gilt. Bis zum Jahr 1961 wurde der Leiter der Al-Azhar von einem Wissenschaftsrat gewählt, danach wurde er vom Religionsministerium ernannt.

15. Februar 2011

Kleine Schritte und eine große Veränderung

Der Militärrat hat nun schon heute die Kommission für die Verfassungsänderung ernannt. Die Auswahl des Vorsitzenden Tareq al-Bishry stieß fast ohne Ausnahme auf Zustimmung. Einzig koptische Kreise äußerten Vorbehalte, gilt Bishry doch als "moderater Islamist". Er war bis zu seiner Pensionierung als Richter ein Kämpfer für die Unabhängigkeit der Justiz. Ihm zur Seite stehen sieben weitere Juristen, darunter Sobhy Saleh, ein ehemaliges Parlamentsmitglied und Mitglied der Muslimbruderschaft (MB). Diese Berufung stößt auf sehr viel Kritik, naturgemäß v.a. von Seiten der Kopten und der säkularen Kräfte. Eventuell deutet sich hier seitens des Militärrates eine Politik an, die MB in den Prozess des Übergangs mit einzubeziehen. Inhaltlich haben die Militärs der Kommission die Änderung der Artikel 76, 77, 88, 93 und 189 aufgetragen. Diese betreffen die Wahlen, das Parlament und die Dauer der Präsidentschaft. Der berüchtigte Artikel 179, der "Terrorismusartikel" soll abgeschafft werden.

Heute wurde auch bekannt, dass der Abteilungsleiter für die öffentliche Sicherheit im Innenministerium, Adly Fayed, entlassen wurde, ebenso der Sicherheitschef von Cairo, Ismail El Shaer. Beide wegen ihrer Verwicklung in den Schießbefehl gegen Demonstranten.

Ägypten hat die USA, Frankreich und Großbritannien aufgefordert, eventuell vorhandene Konten und Vermögenswerte von Mubarak zu sperren.

Finanzminister Samir Radwan gab bekannt, dass die Regierung plane, den Hinterbliebenen der getöteten Demonstranten eine Rente von 1.500 Pfund (ca. 128 Euro) zu gewähren. Die Mehrheit der Ägypter verdient weniger.

Zahlreiche Initiativen rufen die Ägypter auf, ihr bisheriges Verhalten zu ändern. Die geschieht über SMS-Ketten, Facebookgruppen oder andere elektronische Formen der Verbreitung. Aufgerufen wird, die Verkehrsregeln einzuhalten, keinen Müll auf die Straße zu werfen, die allgegenwärtige Bestechung zu bekämpfen oder Betrügereien nicht zu dulden. Gefordert wird aber auch, die Wirtschaft durch Investitionen, und seien sie noch so klein, zu stärken und nicht zu viel Geld von den Banken abzuziehen oder gar große Summen in Dollar umzutauschen. Es scheint, als hätten die Ägypter das Gefühl, dies sei jetzt ihr Land und man solle daher das Land und seine Menschen pfleglich behandeln.

Der Weg zum Rechtsstaat

Jahrzehntelang sind die Menschenrechte in Ägypten mit Füßen getreten worden. Deshalb haben sich unabhängige Menschenrechtsgruppen gebildet, die häufig genug in ihrer Arbeit behindert wurden, ja deren Mitglieder ebenfalls Opfer staatlicher Repression wurden. Aus ihren oft leidvollen Erfahrungen können sie sicher einen fundierten Beitrag zum Aufbau demokratischer Strukturen in Ägypten leisten. Denn gerade sie kennen das repressive System, wissen, wo anzusetzen ist, um nachhaltig einen Wandel herbeizuführen.

Nur einen Tag nach dem Sturz Mubaraks hat das "Forum unabhängiger Menschenrechtsgruppen" seine Agenda für die Übergangszeit vorgelegt. Das Forum nennt sie die "Roadmap for a Nation of Rights and the Rule of Law". Einige der Forderungen sind mittlerweile erfüllt, viele andere nicht. Ich will hier die wichtigsten kurz referieren.
  • Als erstes wird der Militärrat aufgefordert, dass Ägypten seine Diplomaten anweist, die "Koalition der Feinde der Meschenrechte" zu verlassen und insbesondere die destruktive Politik in den UN-Ausschüssen zu den Menschenrechten zu ändern.
  • Die Auflösung sämtlicher "gewählter" Körperschaften, also nicht nur des Parlamentes und des Oberhauses - was bereits geschehen ist -, sondern auch der regionalen und lokalen Versammlungen
  • Keine Immunität für Hosni Mubarak. Eine eventuelle Immunitätszusage (darüber wurde schon spekuliert) soll zurückgezogen werden.
  • Alle Verantwortliche für die Gewalt und die Sabotage der Internet- und Nachrichtenverbindungen sollen vor Gericht gestellt werden, angefangen beim ehemaligen Innenminister und seinen Helfern.
  • Alle Verantwortlichen für die Öffnung der Gefängnisse für Verbrecher, um die Sicherheitslage systematisch zu verschlechtern, gehören ebenso angeklagt.
  • Eine "Wahrheitskommission" soll die Vorgänge vor und nach dem 25. Januar 2011 untersuchen, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und zur Anklage zu bringen.
  • Insbesondere die organisierten Angriffe auf die friedlichen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz am 2.und 3. Februar sollen untersucht werden.
  • Der ehemalige Informationsminister muss sich für seine Desinformationskampagne und Hetze gegen Ausländer verantworten. Alle Herausgeber und Chefredakteure der staatseigenen Zeitungen gehören entlassen.
  • Ende der Verfolgung und Bespitzelung aller politischer Aktivisten
  • Auflösung des Staatssicherheitsdienstes
  • Bestellung einer zivilen Person zur Beaufsichtung des Innenministeriums
  • Völlige Entflechtung von Polizei und Staatsanwaltschaft
  • Sofortige Aufhebung des Ausnahmezustandes, der Folter und andere schwerste Menschenrechtsverletzungen begünstigt hat
  • Streichung, nicht Neufassung des Artikel 179 aus der Verfassung (Dieser erlaubt die Suspendierung elementarer Menschenrechte und die Überstellung an Standgerichte bei Terrorismusverdacht.)
  • Freilassung aller politischen Gefangenen
Darüber hinaus formuliert das Forum sehr klare Anforderungen an eine zukünftige Verfassung, aber dazu vielleicht mehr in einen gesonderten Artikel zu Verfassungsfragen.

Die vollständige "Roadmap" findet sich hier: http://eipr.org/en/pressrelease/2011/02/12/1097

Dem "Forum der unabhängigen Menrechtsorganisationen" gehören an:
• Cairo Institute for Human Rights Studies
• Andalus Institute for Tolerance and Anti-Violence Studies
• Arab Network for Human Rights Information
• Association for Freedom of Thought and Expression
• Center for Egyptian Woman's Legal Assistance
• Hesham Mubarak Law Center
• Misryon Against Religious Discrimination
• New Woman Research Center
• The Arab Penal Reform Organization
• The Egyptian Association for Community Participation Enhancement
• The Egyptian Center for Economic and Social Rights
• The Egyptian Initiative for Personal Rights
• The Human Rights Association for the Assistance for the Prisoners

14. Februar 2011

Opposition will weitere Schritte sehen

Während der regierende Armeerat zu "Ruhe und Ordnung" aufruft, fordert die Opposition weitere Schritte in Richtung Demokratie.

Ein Treffen von acht Vertretern der jungen Opposition mit zwei Mitgliedern der obersten Armeeführung am Sonntag wurde von den Vertretern der Opposition - darunter Wael Ghonim und Amr Salama - als erfreulich beschrieben. Die Vertreter der Armee versicherten, der Weg zu freien Wahlen sei unumkehrbar, man würdigte die Verdienste der Opposition für das Land und forderte zur Gründung von Parteien auf. Zudem kündigten die Generäle an, die Kommission für die Verfassungsänderungen innerhalb der nächsten zehn Tage zu berufen und die Verfassungsänderungen innerhalb der nächsten zwei Monate zur Volksabstimmung zu stellen. Auf die Frage nach einer echten Übergangsregierung, die die bisherige Opposition einschließt, verwiesen die Generäle auf die Dringlichkeit ihrer Entscheidungen und das diese nicht endgültig seien. Angesprochen auf die noch Inhaftierten, baten die Armeevertreter um eine Liste und versprachen sich um deren Freilassung zu kümmern.

Heute präzisierte die "Koalition der jungen Revolutionäre", die gestern mit den Generälen mit am Tisch saß, ihre Forderungen für den Übergang zur Demokratie auf einer Pressekonferenz. Die "Koalition" fordert eine neue Übergangsregierung aus Fachleuten mit einer zivilen Person an der Spitze, die den Respekt und das Vertrauen des Volkes genießt. Die NDP-Mitglieder des bestehenden Kabinetts sollen aus diesem entlassen werden. Es sei unmöglich, dass die Verantwortlichen für die Korruption, die ein Auslöser der Revolution sei, den Übergang betreuten. Das neue Parlament solle eine Verfassung ausarbeiten, welche eine parlamentarische Republik konstituiert, die Macht des Präsidenten beschränkt und eine klare Gewaltenteilung vorsieht. Die Vertreter der "Koalition" betonten, dass das Treffen am Sonntag nur ein Vorgespräch war und kein Beginn von Verhandlungen.

In einem Papier, das auf der Pressekonferenz verteilt wurde, wurde weitere Forderungen aufgelistet: Aufhebung des Ausnahmezustande; Abschaffung des Kriegsrechts und der Standgerichte; Demontierung der NDP und Beschlagnahme ihres Vermögens zugunsten des Staates; Achtung des Rechts, Verbände, Gewerkschaften und Medien zu gründen; Auflösung des berüchtigten Staatssicherheitsapparates und die Freilassung aller politischen Gefangenen.

Ferner fordert die "Koaltion" in dem Papier die Abschaffung der restriktiven Gesetze über Parteigründungen innerhalb von zehn Tagen und den Entwurf eines Gesetzes zur Ausübung der politischen Rechte innerhalb eines Monats. Um das politische Engagement der Jugend zu fördern, soll das Alter der Wählbarkeit zum Parlament von 30 auf 25 und das zum Präsidenten von 40 auf 35 gesenkt werden.

Ebenfalls heute teilte der britische Außenminister William Hague mit, dass der geschäftsführende Premierminister Ahmed Shafiq ihm in einem Gespräch gesagt habe, dass eine Umgestaltung des Kabinetts, die in der nächsten Woche geschehen soll, Persönlichkeiten aus der Opposition einschließen würde.

Das Innenministerium zieht seine Bilanz

Das Innenministerium hat heute eine erste Bilanz über die Verluste der Polizeibehörden veröffentlicht. Sechs Offiziere, elf Polizisten und fünfzehn Wehrpflichtige (die Wehrpflicht wird auch in der Polizei abgeleistet) sind umgekommen. Über 1.000 Personen wurden verletzt. Außerdem gingen neunundneunzig Polizeiwachen und sechs Gefängnisse in Flammen auf. Daneben sind viele Polizeifahrzeuge zerstört worden.

Menschen wollen mehr Lohn - Armeerat drängt auf Ende der Streiks

In einer weiteren Erklärung hat der Armeerat auf ein Ende der landesweiten Streiks und Proteste gedrängt. "In dieser schwierigen Zeit haben die Streiks nur negative Folgen", heiß es in der Erklärung. Die Proteste würden unverantwortliche und illegale Handlungen erleichtern. Im Interesse der Sicherheit, Stabilität und Wirtschaft sei jeder Bürger und die Gewerkschaften aufgefordert, eine konstruktive Rolle zu spielen.

Es streiken u.a. Busfahrer, Krankenwagenfahrer, Textilarbeiter und auch die Beschäftigten an den Großen Pyramiden. Hauptforderung ist stets die nach höheren Löhnen. Oft wird auch die Entlassung der meist korrupten Firmenleitung gefordert. So fordern z. B. die Beschäftigten der "Bank of Alexandria" eine Untersuchung der Privatisierung ihrer Bank.

Vor welchen sozialen Problemen die Leute stehen, soll ein kleines Beispiel verdeutlichen. Heute haben Tunnelarbeiter eine der Hauptverkehrsader Cairos, einen Tunnel, blockiert. Ihnen war am Donnerstag die Festanstellung versprochen worden. Teilweise arbeiten sie seit elf Jahren(!) als Zeitarbeiter ohne Krankenversicherung. Die Tunnelarbeiter sind besonders häufig von Asthma betroffen und ihr Monatsgehalt übersteigt nie 300 ägyptische Pfund, das sind ca. 38 Euro. (Zum Vergleich: Ein Laib Brot kostete in Ägypten zeitweise 0,5 Pfund, ein Kilo Tomaten kostet 8 Pfund, ein Kilo Fleisch 30-50 Pfund und für eine einfache Wohnung in Cairo zahlt man mehr als 200 Pfund). Dazu sollte man noch wissen, dass es in Ägypten in der Praxis zwei Gesundheitssysteme gibt. Ein privates, das kein normaler Mensch bezahlen kann. Und das öffentliche, welches hoffnungslos überlastet ist und in dem es schnelle Behandlung nur gegen Bestechung gibt.

13. Februar 2011

Sechs Monate Militärregierung - Mubarak-Kabinett bleibt

Die Armeeführung hat nun in einer weiteren Erklärung ihre Pläne verkündet. Hier die wesentlichen Punkte:
  • Die Armeeführung wird mit dem Verteidigungsminister Tantawi an der Spitze das Land für sechs Monate regieren.
  • Das letzte Kabinett von Mubarak bleibt ihm Amt, die Minister führen die Amtsgeschäfte weiter
  • Das Parlament ist aufgelöst, ebenso das Oberhaus.
  • Die Verfassung ist suspendiert. Es wird eine Kommission gebildet, die Vorschläge für eine Verfassungsreform entwickeln soll. Diese Reform soll durch eine Volksabstimmung bestätigt werden.
  • In sechs Monaten werden freie Wahlen abgehalten. Die Regierung, die sich danach bildet, wird die Macht vom Armeerat übernehmen.
Damit ist Tantawi De-facto-Präsident von Ägypten. Der Militärrat behält sich vor, Gesetze zu erlassen. Die alten Minister der Mubarak-Regierung bleiben an den Schaltstellen der Macht. Auch allen anderen Staatsfunktionäre.

Wichtig ist auch, was der Armeerat nicht erwähnt hat. Die Aufhebung des seit 30 Jahren andauernden Ausnahmezustandes wird nicht in Aussicht gestellt, geschweige denn verkündet. Auch kein Wort zu den zahlreichen politischen Gefangenen, die noch inhaftiert sind.

Kurz vor der Erklärung des Armeerates hat der Premierminister Ahmed Shafiq eine Pressekonferenz abgehalten. Kernaussage war, dass es nun das oberste Ziel sei, die Sicherheit für die Bevölkerung wieder herzustellen und zur Normalität zurückzukehren. Zudem bestätigte er den Rücktritt des Informationsministers El Feky. Das dieser versucht hat, aus dem Land zu fliehen und unter Hausarrest steht, erwähnte er nicht. Meldungen, wonach mehrere aktuelle Minister von einem Ausreiseverbot betroffen sind, kommentierte er mit den Worten, dass es für Minister üblich sei, sich die Genehmigung für Auslandsreisen einzuholen. Neben den Posten des Informationsministers scheinen noch andere zur Zeit nicht besetzt zu sein, da Ahmed Shafiq betonte, man wolle Sorgfalt bei der Neubesetzung der vakanten Stellen walten lassen. Welche Posten dies sind, sagte er nicht.

Erste Reaktionen sind begeistert bis skeptisch. Von "Dies ist der Sieg der Revolution." bis "Es bleibt noch so viel zu tun, wozu sie nichts gesagt haben." reichen die Äußerungen. Andere sind noch skeptischer: "Das ist ein Mubarak-Regime ohne Mubarak."

Hauptkritik ist, dass es keine Übergangsregierung unter Beteiligung der Opposition gibt, sondern dass es das alte Kabinett ist, das die Geschäfte führen soll, und dieses fast vollständig der NDP angehört. Und das so eine unglaubwürdige Person wie der Premierminister Shafiq an zentraler Stelle bleibt, schafft auch nicht gerade Vertrauen. Zudem wurde kritisiert, dass ein neuer Informationsminister gesucht wird statt das Ministerium komplett abzuschaffen. Ein solches Informationsministerium ist charakteristisch für einen autoritären Staat.

Wie die Kommission besetzt wird, die die neue Verfassung entwerfen soll, ist nicht klar. Eventuell kann es sogar die sein, die Mubarak noch ernannt hat.

Auch dass alle Gouverneure und die anderen Funktionsträger im Amt bleiben sollen, stößt auf Kritik. So haben Oppositionelle in Suez die Entlassung des Gouverneurs und des Polizeichefs gefordert und wollen am Montag demonstrieren, wenn diese noch im Amt sind. Der Gouverneur von Alexandria hat ein anderes Problem: Er war so verhasst, dass man ihm schon am 28. Januar den Amtssitz abgefackelt hat - inklusive einer hochmodernen Überwachungszentrale zur Kontrolle der Bevölkerung.

Die Justiz scheint teilweise einen eigenen Kurs zu fahren. Zahlreiche Ermittlungsverfahren zu Korruptionsvorwürfen wurden eröffnet. Ebenso wie Ermittlungen gegen den ehemaligen Innenminister wegen des Schießbefehls auf Demonstranten sowie gegen den ehemaligen Informationsminister und seine Handlanger wegen der Beeinflussung der staatlichen Medien.

Die soziale Situation in Ägypten ist katastrophal. So müssen 40% der Menschen mit weniger als 2 Dollar am Tag überleben. Deshalb sind in den letzten Tagen zahlreiche Streiks ausgebrochen, die hauptsächlich Lohnerhöhungen als Forderung haben. Letzte Meldungen berichten, dass der Armeerat Gewerkschaftstreffen und Streiks verbieten will. Das wäre ein schwerer Rückschlag für die demokratischen Kräfte.

12. Februar 2011

Alles unklar - Armeeführung hält sich sehr bedeckt

Außer dass Ägypten einen neuen Präsidenten braucht, ist nichts klar. Die Nachrichtenlage ist teilweise widersprüchlich. So heißt es, der Informationsminister Anas El Feky* stehe unter Hausarrest nach einem Fluchtversuch. Gleichzeitig hat der Armeerat bekanntgegeben, dass alle Minister kommissarisch in ihren Amt bleiben bis eine neue Regierung gebildet ist. Diese Entscheidung wird auch schon kritisiert. Die demokratischen Kräfte erwarten die schnelle Bildung einer Übergangsregierung der nationalen Einheit unter Einbeziehung der bisherigen Opposition. Die Armeeführung hat bisher keinerlei Anstalten gemacht, was in diese Richtung ginge. Auch die Entscheidung des Armeerates, alle Gouverneure im Amt zu belassen, dürfte angesichts von Vorgängen wie in Ismaliya heftige Kritik auslösen. Die Gouverneure wurden vom Präsidenten, also Mubarak, ernannt und waren ihm auch rechtlich direkt unterstellt.

Die Armeeführung hat bisher nur betont, dass sie den Übergang zu einer zivilen Regierung will. In welchem Zeitraum dies geschehen soll und wie dies geschehen soll, dazu wurde nichts gesagt. Das undemokratische Parlament ist bisher nicht formell aufgelöst worden. Ein Richter des Verfassungsgerichtes, das laut Armeeführung mit ihnen zusammenarbeitet, äußerte gestern, er halte die Verfassung für aufgehoben und viele sehen das auch so. Doch auch zur Verfassungsfrage hat sich die Armeeführung nicht geäußert.

Die Ausgangssperre wurde von der Armeeführung gelockert, fragt sich nur, ob sich jemand überhaupt um diese schert. Die Aufhebung des 30-jährigen Ausnahmezustandes wurde neuesten Meldungen zufolge für den nächsten Freitag in Aussicht gestellt, wenn die Lage ruhig bleibt.

*Nachtrag: Der Premierminister Ahmed Shafiq gab mittlerweile bekannt, dass der Informationsminister El Feky seinen Rücktritt eingereicht und er diesen angenommen habe.

10. Februar 2011

Nichts! Gar nichts!

Nach all den Ankündigungen, auch der Armeeführung, kam von Mubarak nichts! Gar nichts! Er bleibt! Er gibt die Geschäftsführung an den Chef-Folterer Suleiman ab, bleibt aber Präsident. Er bleibt Herr über eine mögliche Verfassungsreform und die mögliche Auflösung des Parlaments.

Und Suleiman sprach danach: "Geht nach Hause! Hört nicht auf die ausländischen Satelliten-Sender!"

In seiner Rede sagte Mubarak: "Ich habe für dieses Land gelebt, ich würde für dieses Land sterben." Antwort vom Tahrir-Platz: "Können wir einrichten."

Weitere Stimmen aus dem Volk: "Geh! Geh!", "Ab in den Nil mit ihm!", "Stellt ihn vor Gericht!", "Suleiman, geh auch Du!" und "Kommt aus euren Häusern, Mubarak wird uns in einem Sarg verlassen!" Auch Rufe nach der Armee wurden laut.

Die Forderungen ägyptischer Revolutionäre

Was immer in der allernächsten Zukunft passiert - von einem Militärputsch und Ausrufung des Kriegsrechts bis zu einem geordneter Übergang -, wichtig ist, gerade jetzt Forderungen von Aufständischen, die über den Rücktritt von Mubarak hinausgehen, bekannt zu machen. Es geht nicht nur um Mubarak. Neben "Mubarak verschwinde!" war "Das Volk verlangt den Sturz des Regimes!" die wichtigste Parole auf den Demonstrationen.

Die folgenden Forderungen wurden nach "vielen Diskussionen aufgestellt" wie die Autoren schreiben. Sie fahren fort: "Sie sind nicht reräsentativ für alle, die an den Diskusionen teilnahmen." Trotzdem zeigen sie klar die Richtung, wohin die demokratischen Kräfte wollen.
  1. Rücktritt von Präsident Mohammad Hosni Mubarak
  2. Aufhebung des Ausnahmezustandes
  3. Abschaffung des Geheimdienstes für Staatssicherheit
  4. Die Erklärung Omar Suleimans, dass er nicht bei der nächsten Präsidentschaftswahl antritt.
  5. Auflösung des Parlaments und der "Beratenden Versammlung" (eine Art Oberhaus)
  6. Freillassung aller seit dem 25. Januar Festgenommenen
  7. Aufhebung der Ausgangssperre und Rückkehr zum normalen Leben in allen Landesteilen
  8. Abschaffung der Universitätsgarden (besondere Polizeieinheiten zur Überwachung der Universitäten)
  9. Ermittlung der Verantwortlichen für Gewalt gegen friedliche Demonstranten seit dem 25. Januar und der offiziellen Organisierung der Überfälle auf friedliche Demonstranten nach dem 28 Januar
  10. Entlassung von Anas El Feky (Informationsminister) und die Beendigung der Medien-Kampagne vom "Landesverrat" gegen die Revolution und Ende der Hetze gegen Ausländer
  11. Entschädigung der Ladenbesitzer für ihre Verluste durch die Ausgangssperre
  12. Verkündung der Forderungen über Radio und Fernsehen
Für die Übergangsphase:
  1. Entwurf einer neuen Verfassung
  2. Das Recht, Zeitungen, Radio- und Fernsehsender zu betreiben ohne vorherige Genehmigung 
  3. Einführung eines Mindestlohnes
  4. Das Recht, poltische Parteien zu gründen (ohne staatliche Genehmigung)
  5. Das Recht, Gewerkschaften und Verbände zu gründen (ohne staatliche Genehmigung)
  6. Echte Unabhängigkeit der Medien und die dafür notwendige Änderung von Gesetzen und Institutionen
  7. Keine Ableistung der Wehrpflicht bei der Polizei
Unterzeichnet ist das Dokument mit "Bloggers aus Ägypten".

9. Februar 2011

Belagerung des Parlaments

Gestern ist ein Zug von Demonstranten vom Tahrir-Platz zum Parlament gezogen. Seit dem wird das Parlament belagert. Auch in der Nacht harrten die Demonstranten aus und schliefen auf Decken vor dem Gebäude. Heute dauerte die Belagerung an. "Wenn die Politiker uns nicht hören, müssen wir ihnen eben unsere Botschaften direkt überbringen" hieß es aus den Kreisen der Aufständischen. Und es wurde ein Schild angebracht: "Geschlossen bis zum Sturz des Regimes". Um das Parlament zu schützen, hat erstmals in der Geschichte Ägyptens die Armee das Parlamentsgelände betreten. Die Soldaten machen aber keine Anstalten, die Demonstranten zu vertreiben.

Die Regierungspartei NDP hat eine Mehrheit von 80% in der "Ägyptischen Volksversammlung". Die "Wahlen" Ende 2010 waren alles andere als frei, geheim und fair. Oppositionelle Kandidaten wurden nicht zugelassen, eingeschüchtert und verprügelt. Hierbei wurden die Schlägerbanden seitens des Regimes eingesetzt, die auch letzte Woche die Demonstranten am Tahrir-Platz brutal angegriffen haben. Am Wahltag wurden massiv Wähler am Wählen gehindert und kam es sogar zu Toten. Die sofortige Auflösung dieses Parlaments ist eine der Forderungen der Opposition.

Kentucky Fried Chicken und der Aufstand

Die Propangda der staatlichen Medien treibt immer absurdere Blüten. So sahen "anständigen Bürger" Ägyptens, dass einige Demonstranten am Tahrir-Platz Produkte von Kentucky Fried Chicken aßen. Viele riefen daraufhin staatliche Medien an, weil das ja ein "Beweis" sei, dass die Aufständischen vom Ausland gesponsort seien. Und die staatlichen Medien hatten nichts Besseres zu tun, als diesen Unsinn zu verbreiten.

Merke: Denunziantentum und Dummheit gehen gern Hand in Hand.

Übrigens:

Revolte auch in Ismailiya

In Ismailiya (285.000 Einwohner, gelegen am Westufer des Suezkanals) haben Bewohner ein Regierungsgebäude gestürmt und das Auto des Gouverneurs angezündet. Unter den Demonstraten sollen hauptsächlich Bewohner eines Slums gewesen sein. Seit Jahren forderten sie die Verbesserung ihrer Wohnsituation, nie ist etwas passiert. Einige wohnen seit 15 Jahren in behelfsmäßigen Hütten.

Diese Wohnverhältnisse sind kein Einzelfall. Allein in Cairo wohnen etwa ein Viertel bis ein Drittel der Menschen in Slums ohne Kanalisation und ohne Müllabfuhr.

Fünf Tote in der Oase Kharga

Leider haben sich die Gerüchte bestätigt: In der Oase Kharga  gab es fünf Tote und etwa 100 Verletzte. Das berichtet AFP unter Berufung auf Ärzte vor Ort. Alle wurden durch Polizeikugeln getötet.

08.01.2011: Größte Demonstrationen seit Beginn des Aufstandes

Die Berichterstattung über Ägypten war gestern in Deutschland recht kurz angesichts dessen, dass z.B. die BBC berichtete, dass es die größten Demonstrationen seit Beginn der Protestbewegung waren. Wahrscheinlich sind die Medien mal wieder gesättigt und solange nichts Dramatisches passiert, was spektakuläre Bilder liefert, wird die Berichterstattung heruntergefahren.

Dabei ist Ägypten das bevölkerungsreichste arabische Land. Seine islamischen Lehrstätten haben großen Einfluss auf die sunnitische Richtung des Islams (ca. 90% der Moslems sind Sunniten). Führende Prediger Ägyptens, die bisher von Staat bezahlt werden, haben sich auf die Seite der Opposition geschlagen. Einer erklärte: "Seit dem ich offen sage, was ich denke, fühle ich mich näher bei Gott." Uns scheint so etwas merkwürdig, aber die Religion ist dort eine Kraft, die nicht zu unterschätzen ist. Deshalb wäre es auch so wichtig, wenn in diesem großen islamisch geprägten Land eine Demokratie errichtet werden kann. Die ganzen Vollidioten von Al Qaida und Co. sind deshalb über die Entwicklung in Ägypten auch überhaupt nicht begeistert und erklären, Demokratie sei "unislamisch" und das ganze vom Westen gesteuert (da sind sie sich mit der ägyptischen Regierung einig).

Hier nochmal ein kleiner Eindruck von gestern:

Tahir-Platz 08.02.2011

- Vizepräsident Suleiman, der offensichtlich zur Zeit der "operative" Präsident ist, hat gefordert, dass die Proteste "schnell" aufhören. Wenn nicht, drohte er damit, das "etwas" passieren würde. Auf Nachfragen, ob er damit einen Militärputsch meine, verneinte er dies, sondern sprach von einer "Kraft, die nicht vorbereitet ist, zu regieren." Dunkle Andeutungen gehören zum täglichen Geschäft dieses Herren, schließlich ist der Geheimdienstchef, der auch persönlich an Folterungen beteiligt war: http://english.aljazeera.net/indepth/opinion/2011/02/201127114827382865.html%20
Die Reaktion der Opposition auf diese Drohungen des Vizepräsidenten lauten in etwa: "Womit will der uns drohen? Das Militär hat seit über 50 Jahren die Macht. Wir leben bereits in einer Diktatur."

- Herrn Suleimans Äußerungen vom Montag, die Ägypter seien nicht reif für eine Demokratie, wurden gestern von einem Sprecher des Weißen Hauses als "nicht hilfreich" bezeichnet. Immerhin hat man sich seitens der USA nun auch zu der Forderung durchgerungen, den seit über 30 Jahren(!) bestehenden Ausnahmezustand in Ägypten "sofort" aufzuheben.

- Abdullah Kamal, der Herausgeber einer regierungsnahen Zeitung, hat über die Demonstrationen gesagt: "Dies sind keine Demonstrationen des Ärgers und der Wut, sondern von Mördern, die das alles zerstören wollen, was anderen wichtig ist." Während der Westen solche Worte nimmt und sie mit den relativ moderaten von anderen Funktionären vergleicht, um dann über "Risse im System" zu berichten, sieht die Opposition eher das alte Spiel "Guter Bulle, böser Bulle" aufgeführt. - Übrigens fordern jetzt Mitarbeiter der Zeitung den Rücktritt von Kamal.

- Ausländische Korrespondenten werden weiter behindert. Sie werden von Soldaten kontrolliert und wenn keine Akkreditierung vorliegt, an der Arbeit behindert. Neue Akkreditierungen werden aber nicht ausgestellt.

- Das Staatsfernsehen schwankt zwischen Ignorieren der Proteste und z.B. einer tränenreichen Inszenierung, in der ein "Insider" berichtet, die Proteste seien von "Ausländern" unterstützt. http://www.youtube.com/watch?v=8slRy1JhLT8 

- Gestern waren Leute auf den Demos, die da noch nie waren. Insbesondere auch Leute, denen es wirtschaftlich verhältnismäßig gut geht. Daneben gab es andere Aktionen. Z.B. haben mehrere hundert Anwälte beim Generalstaatsanwalt eine Petition eingereicht, die fordert, dass die Herkunft des Vermögens von Mubarak untersucht wird. Ein Tabubruch in Ägypten.

- Tweet von Cornel West, eines schwarzen Bürgerrechtlers aus den USA, an die Opposition: "Martin Luther King, Jr. smiles on you from the grave, your courage resurrects his spirit! "

- Letzte Meldungen berichten von schweren Zusammenstößen in der Oase Kharga im Südwesten des Landes (Oasen sehen nicht wie im Film aus, wo nur ein Wasserloch ist und drei Zelte stehen, sondern sind große landwirtschaftlich genutzte Gebiete, in denen gern mal mehrere tausend Leute wohnen oder gar eine Stadt existiert). Die Polizei soll Wasser und Strom abgestellt haben, das Büro der Regierungspartei NDP soll in Flammen stehen, mindestens ein Polizeifahrzeug ebenso. Es wurde von der Polizei scharf geschossen. Mindestens 8 Leute sind schwer verletzt, es gibt (unbestätigte) Meldungen über Tote. Auslöser der Auseinandersetzungen sind ebenso noch unbekannt. Video: http://www.youtube.com/watch?v=XXFGpRfKL-I