28. März 2011

Libyen: Die Aufständischen stehen vor Sirt

Die Koalition, die die UN-Resolution 1973 umsetzt, ist den Aufständischen eine große Hilfe und könnte die Wende im Kampf des libyschen Volkes gegen das Regime bringen. Dabei interpretieren die Koalitionskräfte die Resolution recht großzügig in ihrem Sinne. Panzer und Artilleriestellungen in der Nähe von Städten anzugreifen, mag von der Resolution noch gedeckt sein, um Zivilisten zu schützen. Aber diese schweren Waffen zu zerstören, wenn sie den Vormarsch der Aufständischen aufhalten, oder gar Kasernen in Tripolis zu bombardieren, ist etwas anderes. Man mag argumentieren, dass die Streitkräfte des Regimes eine generelle Bedrohung für Zivilisten darstellen, aber diese Angriffe als "notwendige Maßnahmen" zu bezeichnen, ist doch gewagt. (Dies sind nur legale Aspekte, ob man es trotzdem für legitim hält, sei jedem selbst überlassen). Zweifellos hat also die Koalition Partei ergriffen. Sie hat dem Gaddafi-Regime jegliche Legitimität abgesprochen. Die EU hat erklärt, Tripolis sei kein Gesprächspartner mehr für sie. Da ist es nur folgerichtig, dass man, wenn man schon Waffen einsetzt, alles tut, um das Regime loszuwerden. Sagen tut das natürlich keiner, jedenfalls keiner der Verantwortlichen.

Doch auf wessen Seite die Koalition steht, weiß niemand besser als die Aufständischen. So warten sie heute Abend darauf, dass die Luftwaffe der Koalition die schweren Waffen des Regimes in und um Sirt angreift, um morgen in die vielleicht entscheidende Schlacht zu ziehen, die den Sturz des Regimes bringen könnte. Doch auch die Gegenseite weiß, was in Sirt auf dem Spiel steht. Es könnte also sehr blutig werden. Die Hoffnung, die bleibt, ist die, dass das Regime implodiert. So schnell wie möglich.

Libyen: Eman Al Obaidi, eine Frau mit ungeheurem Mut

Am Sonnabend rannte eine Frau in eines der Hotels, in denen sich internationale Journalisten in Tripolis aufhalten. Sie sagte, sie heiße Eman Al Obaidi und berichtete, sie sei vor zwei Tagen an einer Straßensperre von Milizen des Regimes entführt worden. Sie sei gefesselt und von 15 Männern immer wieder vergewaltigt worden. Sie trug sichtbare Spuren, die ihre Schilderungen unterstrichen. Agenten des Regimes in Zivil und auch Angestellte des Hotels verschleppten Al Obaidi vor den Augen der Journalisten erneut. Einige Journalisten haben versucht, dies zu verhindern. Sie wurden dabei geschlagen und getreten. Später erklärt das Regime, die Frau sei krank und die Vergewaltigungsvorwürfe nur "Fantastereien". Zudem sei sie betrunken gewesen, was Zeugen des Vorfalls bestritten. Später wurde dann seitens eines Regimesprechers der Vorwurf erhoben, Al Obaidi sei eine Prostituierte. Mittlerweile ist bekannt, dass Eman Al Obaidi eine Jurastudentin aus Tripolis ist und Tobruk stammt. Von dort meldete sich gestern ihre Mutter. Sie ist von Vertretern des Regimes angerufen worden. Ihr wurde sehr viel Geld und ein neues Haus angeboten, wenn sie ihre Tochter dazu bringe, ihre Aussagen zu widerrufen. Die Mutter durfte mit ihrer Tochter sprechen. Sie sagte zu ihr: "Sei stark! Sei stark!" Die Tochter antwortete: "Ich bin stark, ich werde meine Aussage nicht ändern!" Die Mutter betonte, sie schäme sich nicht für ihre Tochter und sei stolz auf sie, weil sie die Mauer der Furcht durchbrochen habe, wie es kein Mann tun könne. Dazu muss man wissen, dass die Benennung einer Vergewaltigung in der Öffentlichkeit durch eine Frau in arabischen Ländern wie Libyen ein extremes Tabu ist. Eine geschändete Frau gilt als Schande und diese öffentlich zu machen, ist ein unerhörter Vorgang, denn die Schande fällt dann auf die Frau zurück. Es gibt viele Hinweise, dass es in den Städten des Ostens, die zeitweise von Regime-Truppen wiedererobert waren, zu systematischen Vergewaltigungen kam. Solche Vergewaltigungen als Teil der "Kriegsführung" sind leider aus unzähligen Kriegen bekannt. Dieses benannt zu haben, in einer extrem patriarchalischen Gesellschaft, erfordert einen unglaublichen Mut, auf den die Mutter von Eman Al Obaidi zu Recht stolz ist.