31. Juli 2011

Syrien: Vor dem Ramadan schlägt das Regime zu

Die Lokalen Koordinations-Komitees hatten für den Fastenmonat Ramadan die Ausweitung der Proteste angekündigt. Die Antwort des Regimes: Am Vorabend des Ramadan schlägt es erbarmungslos zu. In mehreren Vorstädten von Damaskus, aber vor allem in Deir Ezzor und in Hama rollen Panzer und Soldaten schießen wahllos auf die Menschen.

In Deir Ezzor gab es die letzten Tage schwere Auseinandersetzungen. Hier scheint es zu nicht unwesentlichen Desertierungen seitens eingesetzter Truppen gekommen sein, die sich auf ihren Auftrag, das syrische Volk zu schützen, besonnen haben. Am Freitag mussten sich die Schergen des Regimes aus Deir Ezzor zurückziehen. Nun folgt der Gegenschlag. Ein lokaler Scheich soll entführt worden sein. Sein Stamm fordert die ultimative Freilassung bis heute abend 17.00 Uhr, sonst würde man nicht friedlich bleiben. In der Region scheinen Waffen unter den Menschen verbreitet zu sein. Wiewohl der Widerstand gegen das Assad-Regime bis vor kurzem auch hier friedlich war.

In Hama, das die letzten zwei Monate vollständig in der Hand der Opposition war, sind Panzer aus vier Richtungen in das Zentrum der Stadt vorgestoßen. Maschinengewehrfeuer schießt auf alles, was sich auf den Straßen bewegt. Auch aus den Panzern wird geschossen, u. a. auf Wohnhäuser und Moscheen. Bisher ist von fast Hundert Toten und Hunderten an Verletzten allein in Hama die Rede.

Das Regime will offensichtlich den Widerstand kurz vor dem Ramadan endgültig brechen, koste es, was es wolle. Es spricht von einer Operation zur "Befreiung" Hamas aus der Hand von "Moslembrüdern, Salafisten, bewaffneten Banden" und – das Schreckgespenst darf natürlich nicht fehlen – "Al Qaida". Wobei die Staatspropaganda mal die einen, mal die anderen nennt. Aber den Willen, "Chaos und Terror" in Hama, sprich den Verlust der Kontrolle des Regimes in der Stadt, zu beenden, sollte man nicht unterschätzen. Schon jetzt wird in Syrien vom "Ramadan-Massaker" gesprochen.

Als Antwort auf das Vorgehen des Regimes gehen die Menschen in Syrien wieder auf die Straßen. Im ganzen Land kommt es zu Demonstrationen. Für morgen ist zu einem landesweiten Generalstreik aufgerufen worden. Dieser Aufruf wird aber vielfach schon heute umgesetzt. In zahlreichen Städten sind die Läden geschlossen. Für die Nacht, welche der Vorabend des heiligen Monats Ramadan ist, sind weitere Demonstrationen geplant.

10. Juli 2011

Saudi-Arabien: Human Rights Watch gegen deutsche Panzerlieferung

Human Rights Watch hat eine Stellungnahme gegen die geplante Lieferung von 200 Leopard 2-Panzer an Saudi-Arabien veröffentlicht.

Deutschland/Saudi-Arabien: Kein Ausverkauf bei Menschenrechten

Bundeskanzlerin Angela Merkel soll überdenken, welche politischen Signale ihre Regierung an Saudi-Arabien mit dem Verkauf von 200 in Deutschland gebauten Panzern an das Königreich sendet, bevor sie dem Geschäft zustimmt, so Human Rights Watch heute. Saudi-Arabien verfügt über eine miserabele Menschenrechtsbilanz und hat Truppen zur Unterdrückung der dortigen Demokratiebewegung nach Bahrain entsandt.

Saudi-Arabien gehört zu den wenigen Ländern der Region, deren Regierungen im Zuge der Volksaufstände in benachbarten Ländern seit Anfang des Jahres keinerlei Menschenrechtsreformen in Gang gebracht haben. Bundeskanzlerin Merkel sollte klar und unmissverständlich ihre Bedenken über die Menschenrechtsbilanz von Saudi Arabien und seiner Rolle im benachbarten Bahrain öffentlich zum Ausdruck bringen.

Die deutsche Regierung sollte als Minimalbedingung von der saudischen Regierung verifizierbare Garantien einforderen, dass die Militärausrüstung, die Deutschland dorthin exportiert, nicht unter Verletzung der internationalen Menschenrechte oder des Völkerrechts verwendet wird, so Human Rights Watch.

"Als saudische Panzer nach Bahrain einrollten, markierte dies den Beginn der Niederschlagung der friedlichen Demokratiebewegung", so Christoph Wilcke, Saudi-Arabien-Experte bei Human Rights Watch. "Angesichts der derzeitigen Lage könnten saudische Reformer den Verkauf deutscher Panzer an Saudi-Arabien ohne weiteres als deutsche Militärhilfe für repressive Regime auffassen."
 
Innenpolitisch erstickt die saudische Regierung jede reformerische Regung bereits im Keim. Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen in dem Königreich gehören:
  • Die Regierung verbietet alle Formen des friedlichen Protests. Anfang März 2011 wurde das Verbot von ranghohen Geistlichen der Regierung und Vertretern des Innenministeriums erneuert. Bis Mai wurden mehr als 160 Demonstranten verhaftet. Am 3. Juli nahmen saudische Sicherheitskräfte 14 Frauen und fünf Kinder fest, die vor dem Innenministerium in Riad friedlich dafür demonstrierten hatten, dass ihre seit Jahren ohne Anklage oder Gerichtsverfahren inhaftierten Angehörigen freigelassen oder einem Richter vorgeführt werden.
  • In Saudi-Arabien gibt es kein Gesetz, das die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen regelt. Menschenrechtler, die bei der Regierung die Anerkennung solcher Gruppen beantragten, erhielten keine Rückmeldung. Die Regierung behandelt Kritiker häufig wie Kriminelle. Shaikh Mikhlif bin Dahham al-Shammari, ein saudischer Menschenrechtler, wird seit Juni 2010 unter der fragwürdigen Anklage festgehalten, er habe "andere belästigt", indem er Ansichten wahhabitischer Hardliner kritisierte, die sich gegen schiitische Saudis richteten.
  • In Saudi-Arabien gibt es keine politischen Parteien. Im Februar bereitete eine Gruppe von Reformaktivisten die Gründung der ersten saudischen Partei vor; die meisten Mitglieder der geplanten "Partei der Islamischen Nation" wurden jedoch von der Geheimpolizei verhaftet.
  • Saudi-Arabien schränkt die Meinungsfreiheit in erheblichem Maße ein. Im Januar wurde eine Verordnung über elektronische Publikationen erlassen, die praktisch alle elektronisch verbreiteten Nachrichten und Kommentare dem repressiven saudischen Pressegesetz unterwirft. Die Verordnung verpflichtet zudem jeden, der derartige Nachrichten im Internet veröffentlicht, einen Presselizenz zu beantragen und sich an weit gefasste Einschränkungen bezüglich des Inhalts der Beiträge zu halten, etwa an die Verpflichtung, islamisches Recht zu befolgen, und an Verbote, Dritte zu "kränken" oder die Wirtschaft oder Sicherheit des Landes zu "kompromittieren".
  • Saudi-Arabien diskriminiert Frauen systematisch. Das weltweit einzigartige Fahrverbot für Frauen ist nur ein Beispiel für die Unterdrückung von Frauen, die auf den verschiedensten Gebieten stattfindet. Am 22. Mai ließen die saudischen Behörden Manal al-Sharif verhaften, weil sie Auto gefahren war. Bis Ende Juni wurden mindestens sieben weitere Frauen inhaftiert, die es gewagt hatten, sich ans Steuer zu setzen.
Ein jüngeres Beispiel für die Art der saudischen Regierung, mit friedlichem Protest umzugehen, ist der 11. März 2011, der Tag für den Oppositionelle im Internet zu Straßenprotesten aufgerufen hatten. Die Regierung ließ in Riad und anderen Städten in massivem Umfang Sicherheitskräfte aufmarschieren. Ein einsamer Demonstrant, Khalid al-Juhani, erschien in Riad und sprach mit der BBC über seinen Wunsch nach Meinungsfreiheit und Demokratie. Er wurde auf dem Nachhauseweg verhaftet und wurde mehr als zwei Monate lang in Einzelhaft gesperrt. Al-Juhani befindet sich weiter in Haft und wurde wegen "Unterstützung von Demonstrationen und Gesprächen mit ausländischen Medien" angeklagt.

"Saudi Arabien hat die Bemühungen einheimischer Reformer, Demokratie und einen besseren Schutz der Menschenrechte zu erkämpfen, wieder und wieder niedergeschlagen", so Wilcke. "Panzer zu verkaufen und gleichzeitig über Menschenrechtsverletzungen hinwegzusehen ist das falsche Signal, insbesondere im Hinblick auf die Versprechen europäischer Staats- und Regierungschefs gegenüber den Demokratiebewegungen im Nahen Osten, eine neue unterstützende Haltung einzunehmen."

Syrien: Nein zum "Dialog"! Hama trotzt den Angriffen des Regimes.

Dieser Freitag hatte das Motto: "Nein zum Dialog!" Und was soll das für ein Dialog sein, in dem die eine Seite auf die andere permanent schießt und mordet? So gingen die Menschen wieder auf die Straße. Und erneut waren es nicht weniger. Und auch wenn es über 20 Menschenleben gekostet hat, trotzt die Stadt Hama dem Regime. Ungeachtet der Angriffe des Regimes, die unter der Woche stattfanden, versammelten sich Hunderttausende auf dem Uhrenplatz. Die Stadt bleibt für das Regime verloren. "Das Assad-Regime ist in Hama am Ende" bekamen die wenigen ausländische Beobachter immer wieder zu hören.

Gestern teilten die Bewohner Hamas in einer Erklärung mit, sie würden ihren zivilen Ungehorsam weiter fortsetzen, bis folgende Forderungen erfüllt seien:
  1. Ende der Belagerung der Stadt, Abzug der Armee, Rückzug der Sicherheitskräfte, der Milizen und der Vertreter der libanesischen Partei Hizbollah aus der Stadt
  2. Rückkehr des Bürgermeisters Ahmad Khaled Abd Elaziz in sein Amt
  3. Ausweisung von Mohammed Mefleh, Chef der militätischen Sicherheit aus der Stadt aufgrund seiner Verantwortung für das Massaker, das in der Stadt angerichtet wurde.
  4. Freilassung aller etwa 1320 Inhaftierten
  5. Einstellung der Verfolgung der Protestierenden
Sie betonen, dass dies nicht die Forderungen der syrischen Revolution sind (auch wenn sie ein Teil davon sind) und das Ziel eines Wandel des politischen Systems weiter bestehen bleibt.

4. Juli 2011

Syrien: Das Regime bringt die Gewalt zurück nach Hama

Wie befürchtet sind heute gegen 4.00 Uhr morgens Regimekräfte in Hama eingedrungen. Die Stadt soll komplett abgeriegelt sein u. a. mit 300 Panzern. Die Kommunikation ist unterbrochen. Wahllos wurde auf Menschen geschossen, Dutzende festgenommen. Es ist von zahlreichen Verletzten die Rede. Angesichts der Erfahrung, die andere Städte gemacht haben, versuchen die Menschen, die beiden Krankenhäuser vor Zerstörung und Besetzung durch die Schergen des Regimes zu schützen. Auch Barrikaden aus brennenden Autoreifen und Müllcontainern wurden errichtet, um ein weiteres Vorgehen der Sicherheitskräfte zu behindern. Es wurden wohl hauptsächlich zwei Stadtviertel heimgesucht. Bisher waren die Städte, die komplett vom Regime besetzt wurden, höchstens 100.000 Einwohner groß. Hama hat etwa 700.000 Einwohner. Es ist zu hoffen, dass sich das Regime nicht traut, die ganze Stadt zu besetzen oder es sich daran "verschluckt". Dass die Bewohner Hamas heute als Antwort auf das gewaltsame Eindringen in Generalstreik getreten sind, ist ein gutes Zeichen ihrer Entschlossenheit, sich nicht zu beugen.

3. Juli 2011

Syrien: "Verschwinde!"

Das Motto der Freitagsdemonstrationen war denkbar einfach: "Verschwinde!" Dies als Antwort an Assad und die Pseudo-Dialogangebote seines Regimes. "Mit Mördern gibt es keinen Dialog", so die einhellige Meinung der Demonstranten. Über 260 Demonstrationen wurden gezählt, mit geschätzten 3 Millionen Teilnehmern. Und wie dieser "Dialog" in der Realität aussieht, zeigte sich leider auch wieder: 31 Tote. 
Die großen schwarzen Buchstaben bedeuten: "Verschwinde!" - Umgestaltete Werbetafel in Idlib.
In Hama demonstrierten erneut Hunderttausende. Und das vierte Mal in Folge waren keinerlei Bewaffnete des Regimes zu sehen, nicht mal die Verkehrspolizei. Und gerade deshalb blieb alles friedlich. Aber das Regime will Gewalt. Anders ist es nicht zu erklären, dass der Gouverneur von Hamas am Sonnabend abgesetzt wurde, ohne Angaben von Gründen. Es steht zu befürchten, dass die Gewalt wieder Einzug hält in Hama. Heute gibt es Berichte, wonach um Hama Sicherheitskräfte zusammengezogen werden und sie sich auf dem Weg in die Stadt machen.