3. April 2011

Libyen: Bericht aus Az Zawiyah

Nach dem Fall von Az Zawiyah drang lange nichts mehr aus der Stadt heraus. Nur kurz nach der Einnahme war es Journalisten einmal gestattet, die Stadt zu besuchen. Nachfolgend die zusammenfassende Übersetzung eines Berichtes aus der besetzten Stadt.

Az Zawiyah ist militärisch völlig besetzt. In jeder Straße sind Bewaffnete, meistens Söldner aber auch Libyer. Der Norden der Stadt (da liegt das Zentrum, welches der Schauplatz der heftigsten Kämpfe war, d. Ü.) ist fast vollständig entvölkert. Die meisten sind in die südlichen Stadtteile geflohen, nachdem ihre Häuser durch den Beschuss der Panzer und Artillerie des Regimes beschädigt worden waren. Außerdem wurden Häuser nach der Erstürmung demoliert und geplündert. Genauso wie viele Geschäfte.

Jeder junge Mensch, der sich auf die Straße traut, wird entweder erschossen oder entführt. Es sind 3.000 Menschen verschwunden und über 500 getötet. Mord, Vergewaltigung und Misshandlung sind an der Tagesordnung, das ist keine Übertreibung.

Die Menschen in Az Zawiyah leben in Furcht und Schrecken. Es gibt kaum Lebensmittel und keine Milch für die Kinder. Von den Entführungen sind auch Frauen nicht verschont, 88 werden vermisst. Die Menschen haben die Getöteten in ihren Hinterhöfen und Gärten begraben (aus Angst vor Repressalien und davor, dass die Schergen des Regimes die Gräber schänden und die Toten ausgraben, worüber es gesicherte Aussagen gibt, d. Ü.).

Auch wenn das Gaddafi-Regime Az Zawiyah aushungern und von seinen widerständischen Bewohnern "säubern" will, so gibt es weiterhin Widerstand. Nachts führen die Freiheitskämpfer Aktionen durch, wenn diese auch angesichts der Masse an Besatzern und dem Mangel an Munition nur klein sein können.

Man hofft, dass der Nationale Übergangsrat die NATO dazu drängt, die Streitkräfte des Gaddafi-Regimes aus der Luft anzugreifen, damit die Freiheitskämpfer wieder Kontrolle über Az Zawiyah erlangen. Und man hofft, dass der Übergangsrat die Lage in Az Zawiyah bekannt macht. "Mit dem Willen Gottes werden wir die Freiheit bald erlangen."

Bahrain: Zeitung der Opposition verboten. GCC-Trupppen bleiben

Am heutigen Sonntag haben die Behörden in Bahrain die wichtigste oppositionelle Zeitung des Landes, "Al-Wasat", verboten. Ob das Verbot vorübergehend oder dauerhaft ist, konnte der Chefredakteur nicht sagen. Während der Unruhen im März wurden schon die Druckerpressen "Al-Wasats" zerstört und am 17. März verhinderten Bewaffnete die Produktion der Zeitung. Seit Wochen gibt es eine Kampagne der staatlichen Medien gegen "Al-Wasat". Das heutige Verbot wurde damit begründet, dass Al-Wasat Lügen, Fälschungen und Plagiate verbreite. Zudem würde sich die Zeitung "direkt und absichtlich" gegen die "Sicherheit und Stabilität des Königreiches" stellen.

Ebenfalls heute begründete der Kommandeur der Truppen des Golf-Kooperationsrates (GCC) in Bahrain den Einmarsch der Streitkräfte mit einer drohenden ausländischen Aggression gegen das Land. Die Frage, wie lange die Truppen im Lande verbleiben würden, beantwortete er mit: "Solange wie nötig". Mit Hilfe der GCC-Truppen schlug Bahrain Mitte März die Proteste der vorwiegend schiitischen Opposition nieder.

Syrien: Verhaftungswelle. Forderungen der Revolutionäre

Nach den Protesten am Freitag hat gestern der syrische Staat zahlreiche Verhaftungen vorgenommen. Schwerpunkt der Verhaftungen waren scheinbar Duma, Daraa und Homs. Zumindest in Homs haben Anwohner, als sie merkten, was vorging, versucht Straßen mit Barrikaden zu sperren und so weitere Verhaftungen zu verhindern.

Forderungen der syrischen Revolutionäre

Sofortige Schritte:
  1. Freilassung aller politischen Gefangenen und Festgenommen. Bedingungslose Erlaubnis für die Rückkehr aller Syrer aus dem Exil.
  2. Unwiderrufliche Aufhebung des Ausnahmezustandes und des Standrechtes auf Dauer, einschließlich der Auflösung aller Sondergerichte.
  3. Abzug aller bewaffneter Geheimdienstler aus den Städten. Rückkehr der normalen Polizei. Aufhebung der Absperrungen der Städte. Entschädigungen für Opfer der Zerstörungen und der Angehörigen der Getöteten. Unabhängige Untersuchung der Vorfälle zur Feststellung und Anklage der Verantwortlichen unter Beteiligung arabischer Menschenrechtsgruppen.
  4. Erlass eines Dekrets, das das Recht auf friedliche Demonstrationen gewährt und Bedrohungen und Angriffe auf die Demonstrationsfreiheit unter Strafe stellt.
  5. Ende der politischen Einflussnahme auf Schüler seitens der Schulkräfte und Geheimdienstler, insbesondere ein Ende des Teilnahmezwanges an Demonstrationen für das Regime.
  6. Allen Geheimdiensten* soll es verboten werden, Verhaftungen nur aufgrund von politischen oder religiösen Überzeugungen durchzuführen. Umorganisierung der diversen Geheimdienste zu einem Nationalen Sicherheitsdienst unter Aufsicht des Innenministeriums und unter Beachtung der Menschen- und Bürgerrechte.
Weitere Schritte mit einem klaren Zeitrahmen:
  1. Änderung der Verfassung, insbesondere Artikel 8**, Einführung einer Mehrparteiendemokratie, garantierte Menschen- und Bürgerrechte und einen friedlichen Machtübergang.
  2. Einführung eines wahrhaft unabhängigen Justizwesens unter Einbeziehung der betroffenen Berufsgruppen und Menschenrechtsorganisationen.
  3. Informations- und Meinungsfreiheit.
  4. Schaffung einer modernen rechtlichen Grundlage für die Gründung von Parteien und Organisationen, die für eine funktionierende Zivilgesellschaft notwendig sind.
  5. Einführung eines modernen Mehrparteien-Wahlrechtes, das freie und faire Wahlen auf lokaler und nationaler Ebene garantiert, damit alle Bereiche der syrischen Gesellschaft repräsentiert sind. Bildung einer parlamentarischen Regierung, die Korruption und Armut bekämpft und echte Entwicklung fördert.
  6. Lösung der kurdischen Frage***, Zubilligung ihrer Staatsbürgerschaft, Rückgabe ihres gestohlenen Landes und Verbesserung ihres Lebensstandards.
  7. Untersuchung aller Netzwerke, die der Korruption dienen. Anklage gegen alle Nutznießer der Korruption und Beschlagnahme aller unrechtmäßig erworbenen Vermögenswerte. Überprüfung aller Verträge zum Nachteil des syrischen Staates und der Gesellschaft, insbesondere aller Mobilfunkverträge.****
  8. Ein nationaler Plan zu Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit, der halbjährlich vom Parlament überprüft wird.
  9. Einberufung einer Nationalen Generalsversammlung unter Berücksichtung aller gesellschaftlichen Gruppen um weitere notwendige Aufgaben in einen Reformplan für Syrien aufzunehmen.
* Experten schätzen die Anzahl der Geheimdienste in Syrien auf mehr als ein Dutzend!
** Artikel 8 schreibt die führende Rolle der Baath-Partei in Staat und Gesellschaft fest.
*** Etwa 300.000 Kurden besitzen nicht die syrische Staatsbürgerschaft, obwohl sie in Syrien geboren sind. Viele sind im Zuge der Bekämpfung von separatistischen Bestrebungen von ihrem Land in den Dörfern vertrieben worden und fristen ein kümmerliches Dasein am Rande der Städte.
**** Das Mobilfunknetz Syriatel gehört Rami Makhlouf, einem Cousin Bashar Al-Assads. Er gilt als Banker des Assad-Clans und soll einer der reichsten Männer der Welt sein.

Nachbemerkung: Diese Forderungen stammen aus einem Text, der nicht von einer Gruppe unterschrieben wurde. Ich habe sie sinngemäß und zusammenfassend übersetzt. Inwieweit sie repräsentativ sind für die, die auf die Straße gehen, lässt sich nicht sagen. Aber unter den jetzigen politischen Bedingungen, die in Syrien herrschen, ist das sowieso ein Ding der Unmöglichkeit.