6. März 2011

Ägypten: Das Ende der Staatssicherheit

Demonstranten stürmen die Gebäude der Staatssicherheit. Eine systematische Aktenvernichtung war geplant und angelaufen. Es wurde ein neuer Innenminister benannt: Mansour El Essawi.


Berge geschredderter Akten in der SSI-Zentrale in Cairo
 
Als der neue Premierminister Essam Sharaf am Freitag auf dem Tahrir-Platz in Cairo quasi seine Antrittsrede vor dem Volk hielt – ein in Ägypten unerhörter Vorgang -, wurde er nicht nur gefeiert. Ihm schallten auch Sprechchöre mit weiteren Forderungen entgegen. Eine war besonders laut zu hören: "Nieder mit der Staatssicherheit!"

Die Staatssicherheit (SSI) war die gefürchtete Behörde des Innenministeriums, die für die Unterdrückung der Opposition zuständig war. Berüchtigt für die Verschleppung und Folterung Tausender und die Ermordung zahlloser Menschen. Für die SSI arbeiteten zuletzt 100.000 Beschäftigte und eine noch unbekannte Zahl von Spitzeln.

Am Freitag fingen Demonstranten in Alexandria an, die dortige SSI-Zentrale zu belagern. Gerüchte hatten die Runde gemacht, die SSI sei dabei, Akten zu vernichten, die ihre Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen belegen könnten. Die anrückende Polizei wurde verjagt, dabei flogen Moltowcocktails. Später wurde aus dem Gebäude der SSI auch geschossen. Letztlich konnten die Demonstranten das Gebäude besetzen und die anwesenden SSI-Mitarbeiter wurden von den inzwischen eingetroffenen Soldaten geschützt. Wobei sie nicht verhindern konnten, dass vorher einige der anwesenden SSI-Agenten verprügelt wurden. Wie sich nach der Erstürmung des Gebäudes herausstellte, waren die Befürchtungen, die SSI würde Akten vernichten, völlig berechtigt.

Am Sonnabend wurde dann die SSI-Zentrale in Cairo gestürmt. Hier hatte es vorher Berichte gegeben, dass Rauch aus dem Gebäudekomplex aufstieg, also Akten verbrannt würden. Auch das stellte sich als wahr heraus. Nach stundenlanger Belagerung - bei der ein Offizier der Armee beinahe verprügelt wurde, weil er die Demonstranten aufforderte, zu gehen – drangen ca. 3.000 Demonstranten in die SSI-Zentrale ein. Was sie fanden, waren abertausende Akten, Dateien, auch Fotos und Videos sowie die gehackten Emails von Aktivisten und Protokolle von Treffen der Oppositionsgruppen einschließlich der Namen von eingeschleusten SSI-Agenten. Einige der Demonstranten fanden ihre eigene Akte. Man bildete ein Komitee zur Sicherung der vorhandenen Daten und es wurden der herbeigerufenen Generalstaatsanwaltschaft zahlreiche Dokumente für die weiteren Ermittlungen übergeben. Auch in anderen Städten sind SSI-Büros gestürmt wurden und die Aktionen halten an. 

Mittlerweile fand sich unter den Unterlagen in der SSI-Zentrale auch das Protokoll einer Sitzung vom 21. Februar. Die Anwesenden arbeiteten auf dieser Sitzung einen detaillierten Plan für die Datenvernichtung aus, damit die Unterlagen nicht den demokratischen Aktivisten in die Hände fallen. Es wurde empfohlen, die Akten zu schreddern und man wollte Wissenschaftler noch nach Methoden fragen, wie Akten ohne Rauch chemisch vernichtet werden könnten. Anwesend waren alle wichtigen SSI-Funktionären, einberufen war die Sitzung vom Innenministerium.

Der zu dem Zeitpunkt dieser Sitzung amtierende Innenminister Mahmud Wagdi hatte die Demonstranten in Alexandria noch beschuldigt, sie hätten am Freitag mit Schusswaffen das Feuer auf die SSI-Mitarbeiter eröffnet. Nun ist er abgelöst worden. Der neue Innenminister ist der Genral Mansour El Essawi. Er stammt aus dem Sicherheitsappart, genießt aber ein guten Ruf, weil er als Gouverneur von al-Menya ernsthaft gegen die Korruption vorgangen sein soll.

Das Material, das bisher aus den SSI-Büros an die Öffentlichkeit gelangt ist, hat die Ägypter soweit empört, dass nur noch die Auflösung der SSI denkbar ist. Oder wie es eine Zeitung in Ägypten formulierte: "Das SSI-Imperium ist gefallen!"

Jetzt gehen die Diktatoren auf die Straße!

Libyen: Die aufständischen Kräfte im Osten stoßen vor

Die aufständischen Kräfte des "Freien Libyens" im Osten stoßen weiter Richtung Westen vor. Nächstes Ziel wird Sirt sein.

Am Freitag konnte Ras Lanuf befreit werden. Später wurden etwa 20 Leichen von Soldaten entdeckt, die hingerichtet wurden. Man nimmt an, dass sie sich weigerten, auf ihre Landsleute zu schießen, und deshalb von den regimetreuen Truppen ermordet wurden. Am Sonnabendmorgen mussten die aufständischen Kräfte noch Gegenangriffe abwehren. Dabei gelang der Abschuss zweier Hubschrauber und eines Kampfjets. Der Mann, der den Jet abschoss, soll die Bedienung des Luftabwehrgeschützes erst am Tag zuvor erlernt und auch sonst noch nie eine Waffe in der Hand gehabt haben. Später konnten die Aufständischen weiter nach Westen vorrücken. Die Truppe soll 6.000 Mann umfassen. Eigentlich wird sie von desertierten Armeeoffizieren geführt, die einen langsameren Vorstoß wollen. Doch den Enthusiasmus der Männer können sie nicht bändigen. Diese wollen das Regime stürzen - so schnell wie möglich.

Der Vorfall der hingerichteten Soldaten in Ras Lanuf soll die Spannungen zwischen Regimetreuen und Regimegegner in Sirt angeheizt haben. Wobei die Regimegegner in der Mehrheit sein sollen. Nur die Anwesenheit der Saadi-Brigade soll den Aufstand bisher verhindert haben. So wollen die Aufständischen aus dem Osten nun ihren Landsleuten in Sirt helfen, das Regime abzuschütteln. Der Fall von Sirt wäre ein schwerer Verlust für das Regime. Erstens ist es die letzte bedeutende Stadt außer Tripolis, die das Regime noch kontrolliert. Und zweitens wäre der Weg von Osten bis nach Misratah frei. Und von da sind es nur 120 km bis Tripolis.