20. Februar 2011

Libyen: Es ist ein Massaker

Vorbemerkung: Die Nachrichtenlage in Libyen ist weiter schlecht. Es gibt nur staatliche Medien in Libyen. Das Internet ist weiterhin (fast) komplett down. Die Mobilfunknetze sind auch abgeschaltet. Einzig das Telefonnetz scheint noch halbwegs zu funktionieren. Die einzigen glaubwürdigen Quellen sind deshalb Anrufe von Menschen vor Ort bei Verwandten, Organisationen außerhalb Libyens oder den ausländischen Medien. Die Veröffentlichungen im Internet müssen fast vollständig den Weg übers Ausland nehmen und werden dann z.B. von Libyern im Exil ins Netz gestellt.

Die Befürchtungen sind wahrgeworden. Das Gaddafi-Regime versucht, mit brutaler Gewalt den Aufstand niederzuschlagen. Das Zentrum ist weiterhin der ärmere Osten Libyens, insbesondere Bengahzi. In der zweitgrößten Stadt Libyens haben schwere Auseinandersetzungen stattgefunden. Diese "Kämpfe" zu nennen, würde bedeuten, dass zwei in etwa gleichstarken Kräfte aufeinandertreffen. Das ist nicht so. Die bewaffneten Kräfte des Regimes haben gestern in Benghazi friedliche Demonstranten, die die Opfer des Vortages beerdigen wollten, mit Mösergranaten angegriffen. Seitdem wehren sich die Aufständischen mit Steinen und vereinzelt selbstgebauten (Benzin-)Bomben. Inwieweit erbeutete Waffen verwendet werden, ist völlig unklar. Aber die allermeisten sind bis auf Steine unbewaffnete Zivilisten. Auf Seiten des Regimes werden wohl hauptsächlich Spezialeinheiten eingesetzt. Die Berichte über den Einsatz von Söldern aus anderen afrikanischen Ländern (als Herkunftsland wird z.B. der Tshad genannt, zu dem das libysche Regime hat seit langem Verbindungen hat) sind so häufig, dass man fast von einem gesicherten Fakt ausgehen kann. Aber auch reguläre Streitkräfte scheinen gegen das Volk vorzugehen. Es wird wahllos auf Menschen geschossen. Mit Pistolen, Gewehren, Maschinengewehren und auch mit Geschützen, die für die Flugabwehr gedacht sind. Entsprechend ernsthaft sind die Verwundungen. Allein für Benghazi und nur für gestern kann von 200 Toten und unzähligen Verletzten ausgegangen werden. Die Krankenhäuser quellen über. Ärzte brechen zusammen, weil sie einfach nicht mehr können. Es fehlen vor allem Blutkonserven, weil viele Wunden eben von großkalibriger Munition stammen, die Flugzeuge abschießen kann. Es gibt auch Berichte wonach die Krankenhäuser selber Ziele der Angriffe sind.

Das Regime hat versucht, die Vorgänge zu verschweigen. Aber nun geht das nicht mehr. Die Nachrichtenagentur des Regimes, JANA, macht ein Netzwerk aus Tunesiern, Ägyptern, Sudanesen, Palästinensern, Syriern und Türken für die Vorgänge verantwortlich. Dieses Netzwerk habe zum Ziel, Libyen zu zerstören. Und im Hintergrund ziehe (wer sonst?) Israel die Fäden. Das ist gleiche Schwachsinn, den schon Mubarak und sein Folterchef Suleiman behauptet haben.

Eine Versammlung von 50 islamischen Gesitlichen aus dem Westen Libyens hat einen dramatischen Aufruf verfasst, die Gewalt zu beenden: "Wir appelieren an jeden Moslem innerhalb des Regimes und alle, die ihm helfen, sich daran zu erinnern, dass unser Schöpfer das Töten von unschuldigen Menschen verboten hat... Tötet NICHT eure Brüder und Schwestern! STOPPT das Massaker JETZT!" Erstaunlich ist daran, dass dieser Aufruf aus dem bisher weniger betroffenen Westen Libyens stammt und hier eindeutig der Verursacher der Gewalt benannt wird.

Die Stimmen der Aufständischen, die uns erreichen, sind verzweifelt. Alle beschreiben die Vorgänge als "Massaker". Sie schreien nach Hilfe und immer wieder fällt der Satz: "Warum schaut die Welt zu, wie das Regime das Volk abschlachtet?" Aus dieser Verzweiflung entspringt auch Mut, unglaublicher Mut. "Wir sind die wahren Söhne Omar el Mukhtars, wir geben nicht auf!", "Wir gehen nicht, wir können nicht gehen, wir haben jetzt kein Wahl mehr. Das Regime muss fallen!" und "Ich habe keine Angst, zu sterben, ich habe Angst, diesen Kampf zu verlieren." Das libysche Volk kämpft und es stirbt. Aber es kämpft.