9. April 2011

Syrien: Mehr Demonstranten denn je, blutiger denn je

Alle Zugeständnisse und Drohungen des Regimes haben nichts gefruchtet: Mehr Menschen als je zuvor gingen gestern in Syrien auf die Straßen. Und wieder waren mehr als ein Dutzend Städte Schauplätze der Proteste. Auch von den kurdischen Syrern beteiligten sich mehr als bisher – trotz der Gewährung der Staatsbürgerschaft für "staatenlose" Kurden seitens des Präsidenten. "Wir wollen Freiheit und nicht nur die Staatsbürgerschaft!" war die Antwort aus Qamishly. Und: "Kurden und Araber sind Brüder!" Daneben auch noch: "Weg mit dem Ausnahmezustand!" und "Wir wollen Verfassungsänderungen!" In Latakia, schon letzte Woche einer der blutigsten Schauplätze, versuchte das Regime weiter die religiösen Spannungen anzuheizen. Alawiten der Baath-Partei provozierten in einem sunnitischen Stadtteil mit Rufen wie "Wir wollen Eure Töchter und werden Eure Söhne in den Himmel schicken!" In Jassem trat der bekannte islamische Gelehrte Jawdat Said auf. Er war schon anderentags in Duma aufgetreten. In Homs sollen sich fast 100.000 Demonstranten versammelt haben. Hier wie in anderen Städten bezogen sich die Sprechchöre auch auf die Ereignisse in Duma und natürlich in Daraa. Die Stadt der ersten Großdemonstrationen sah wieder die meisten Demonstranten im Land. Drei Züge vereinigten sich, nachdem Straßensperren von Polizei und Armee überwunden wurden. Zudem traf aus der Umgebung ein Konvoi mit zweitausend Motorrollern und -rädern in Daraa ein.

Und überall schlug das Regime brutal zu und teilweise auch tot. Und in fast jeder Stadt griffen die Schergen des Regimes wieder zur Schusswaffe. Die meisten Todesfälle werden aus Daraa gemeldet. Insgesamt 27 Tote für das Land gelten als gesichert, es könnten aber auch an die Hundert sein. In Daraa weigerten sich die Krankenhäuser auf Anweisung der Behörden, verletzte Oppositionelle zu behandeln. Das teilte der Imam der Omari-Moschee mit, in der wieder Verletzte notdürftig versorgt wurden. Einige starben dort. Sehr wahrscheinlich ist mindestens ein Armeeoffizier erschossen worden, weil er sich weigerte, auf Demonstranten zu schießen. Selbst ein Abgeordneter des syrischen "Parlaments" aus Daraa sprach am Sonnabend von "Fehlverhalten" der Sicherheitskräfte.

Und das Regime zeigt seine schießwütigen Agenten in Zivil im Fernsehen und behauptet, dies seien "Banditen", die auf die Sicherheitskräfte und die Demonstranten geschossen hätten. Es gibt genug Bilder, wo diese "Banditen" einträchtig neben uniformierten Polizisten oder Soldaten stehen oder gar auf am Boden liegende Oppositionelle einschlagen, sogar, wenn diese schon tot sind. Noch in der Nacht ließ das Innenministerium mitteilen, dass nun die "Zeit der Toleranz" vorbei sei und jetzt Schluss gemacht werde mit den Saboteuren, Verrätern, Banditen und ihren ausländischen Unterstützern. Und so wurden die heutigen Trauerfeiern in Daraa von staatlicher Seite angegriffen, auch wieder mit Schusswaffen.

Das Regime hat seinem Volk den Krieg erklärt. Die Frage ist, wie sich das Volk dazu auf mittlere Sicht verhalten wird. In Daraa wurde gestern versucht, den Gouverneurspalast zu stürmen, weil sich dort Geheimdienstler verschanzt hatten, die auf Demonstranten schossen. Andererseits wurden Waffen, die Sicherheitskräfte bei der Flucht zurückgelassen hatten, in der Moschee abgeben, damit sie nicht benutzt werden. Das Recht, sich gegen dieses mörderische Regime zu wehren, hätten die Menschen allemal.

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